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Die verschiedenen Strafrechtstheorien in ihrem Verhältnisse zueinander und zu dem positiven Rechte und dessen Geschichte Julius Friedrich Abegg Inhaltsverzeichnis A. Vorrede 5 B. Einleitung 7 I. § 1. Verhältniss der sogenannten Strafrechtstheorien zu dem positiven Rechte überhaupt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Ueber den so genannten philosophischen Theil des Strafrechts. . . 7 II. § 2. Dessen Verhältnifs zu dem positiven Rechte. . . . . . . . . . . . . . . 8 III. § 3. Gegenstand der folgenden Abhandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 C. Erster Theil. 11 I. §. 4. Deren Charakter im Allgemeinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. §. 5. Gewöhnliche Weise der Begründung des Strafrechts, insbesondere durch Beziehung desselben auf einen Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 III. §. 6. Historisch - philosophische Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 IV. §. 7. Hieraus abgeleitete Stufen der Begriffs - Entwickelung. . . . . . . . . 16 V. §. 8. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. 1. Der unmittelbare Standpunct, die Verletzung und die Rache, und das Strafrecht der Familie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 VI. §. 9. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. 2. Das Verbrechen in der bürgerlichen Gesellschaft, und die Strafe nach Zwecken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 VII. §. 10. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. 3. Das sittliche Strafrecht und die Gerechtigkeit im Staate. . . . . 21 VIII. §. 11. Die Berechtigung der s. g. relativen Theorieen. . . . . . . . . . . . . 24 IX. §. 12. Deren Anerkennung nach dem Grundsatze der Gerechtigkeit. . . . . 26 X. §. 13. Die Gestaltungen des strafbaren Unrechts. . . . . . . . . . . . . . . 26 1. a. Die Rechtsverletzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 XI. §. 14. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. b. Die gefährliche Handlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 XII. §. 15. Folgerungen daraus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 XIII. §. 16. Insbesondere für die Strafe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 XIV. § 17. Nothwendige Grenzen der relativen Theorieen. . . . . . . . . . . . . 33 XV. §. 19. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. c. Das Verbrechen im Verhältnisse zu der Gerechtigkeit. . . . . . . 35 XVI. §. 20. Die gerechte Strafe, in der Zusammenfassung aller nothwendigen Momente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3 Inhaltsverzeichnis XVII.§. 21. Anwendung des Princips derselben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 XVIII.§. 22.Fortsetzung und Schlufs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 D. Zweiter Theil. 47 I. §. 23. Uebergang zu dem Folgenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 II. §. 24. Allgemeine Bemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 III. §. 25. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. I. Vom römischen Rechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 IV. §. 26. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. 2. Zur Anwendung gebrachte Grundsätze im römischen Strafrechte. 56 V. §. 27. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. 3. Ansichten der nichtjuristischen Classiker. . . . . . . . . . . . . . 60 VI. §. 28. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. II. Vom kanonischen Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 VII. §. 29. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 VIII. §. 30. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. III. Vom germanischen Strafrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 IX. §. 31. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 X. §. 32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 E. Dritter Theil. 79 I. §. 33. Verhältnifs desselben zu seiner geschichtlichen Grundlage. . . . . . . 79 II. §. 34.Die neuern Strafgesetzgebungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 III. §. 35. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. 1. Das preufsische Strafrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 IV. §. 36. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 V. §. 37. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. 2. Das österreichische Strafrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 VI. §. 38. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. 3. Das baierische Strafrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 VII. §. 39. Die neuern Entwürfe zu Strafgesetzbüchern. . . . . . . . . . . . . . 98 VIII. §. 40. Schlufs. Rückblick auf die Ergebnisse der Untersuchung. . . . . . . . 99Seite 1 4 A. Vorrede Die s. g. Strafrechtstheorieen gehören zu den Lehren, welche in der neuern Zeit vorzugs- weise bearbeitet worden sind, Theils weil sie vor vielen andern anziehend, und für den Forscher belohnend sind, Theils weil das tiefer gefühlte Bediirfnifs einer philosophischen Begründung des Strafrechts in Verbindung mit den neuern Behandlungen des Natur- rechts oder der philosophischen Rechtslehre, dazu Veranlassung gab und selbst nöthigte. Es ist bekannt, welche Vortheile daraus für die Wissenschaft hervorgegangen sind, da selbst der Streit für die Wahrheit zuletzt gewinnbringend ist, wenn er wirklich auf sie bezogen und um ihrentwillen geführt wird. Aber es ist nicht minder Thatsache, dafs jene Menge der Versuche keineswegs allgemein auch nur einigen Gewinn geliefert habe, indem besonders die erste jener Ursachen manche nicht zu billigende zu frühzeitige Schriften Solcher, die dem schwierigen Gegenstande nicht gewachsen waren, in’s Daseyn gerufen hat, und so ist es zuletzt dahin gekommen, dafs jeder gute oder einigermafsen schein- bare Einfall über Grund oder Zweck der Strafe etc. Anspruch macht, als eine und als ausschließende Theorie zu gelten. So ist denn in diese Lehre eine Verwirrung gekommen, ein Kampf der Meinungen hat sich gezeigt, wie kaum in einer andern, und entweder die Einsicht in die Vergeblichkeit, auf diesem Wege zu bestimmten praktischen Ergebnis- sen zu gelangen, oder die Wahrnehmung, dafs jene Theorieen sich nicht in das rechte Verhältnis zu dem positiven Rechte setzten, (sei es, dafs sie auf dasselbe ganz verzichte- ten, oder sich ohne Berechtigung an die Stelle der positiv und geschichtlich gebildeten Grundsätze stellten) haben dahin geführt, dafs man begonnen hat, jenen wesentlichen Theil, ja die Grundlagen der Wissenschaft für entbehrlich zu achten, und die darauf gerichteten Bemühungen für müfsige Speculationen zu erklären. Vor solchen Extremen, die nicht ohne Zusammenhang mit einem gröfsern und umfassendem Streite sind, der sich selbst nicht auf das Gebiet der Rechtswissenschaft beschränkt, mufste freilich der bessere Sinn die mit der Wissenschaft nach allen ihren Seiten Vertrauten bewahren; aber ausgesetzt blieben ihnen die, welche einseitig ein Moment des Begriffs einen Theil des Ganzen hervorhoben und an dessen Stelle setzten, es sei vom Standpuncte der Philoso- phie, oder der Geschichte, oder des unmittelbar Praktischen aus. Wie nun jeder Theil, jede Seite des Ganzen auch eine Wahrheit hat, so läfst sich eben so richtig bemerken, dafs jede dieser Ansichten, jede Theorie bei Widerlegung der andern Recht behalte, und diese andern als unrichtig aufzeige, als wiederum, was unmittelbardasselbe ist, das Um- gekehrte gesagt werden kann, daß jene angeblich siegreiche Theorie ihre Widerlegung an denen finde, die sie selbst von ihrem Standpuncte aus nicht gelten lassen will. Diefs sieht man besonders deutlich bei den s. g. relativen Theorieen, deren jede die andere von ihrem untergeordneten Standpuncte aus nicht nur widerlegt, sondern auch zu diesem Zwecke auf eine Weise darstellt, die deren Vertheidiger nicht zugeben, und für die sie sich durch das gleiche Verfahren gegen die entgegengesetzte und jede weitere, von ihr 5 A. Vorrede verschiedene, ihre Genugthuung nehmen. Unterdessen machen gegen solche einseitige Methode, die geschichtliche und praktische, in diesem Puncte einig, Partei gegen die Philosophie oder gegen das, was sich für solche ausgibt, um selbst bald wieder gegen einander aufzutreten, und sich auch wohl vorübergehend mit der einen oder der andern gegen die dritte zu verbinden. In dieser nothwendigen Erscheinung der Trennung und des Gegensatzes liegt aber auch die Andeutung des Weges der Vereinigung, die nicht schwer ist, wenn man nur erst erkennt, dafs jede dieser Ansichten Wahrheit sei, aber nicht für sich allein, nicht ausschliefsend, sondern mit und neben den andern, die, gleich berech- tigt, sämmtlich ihre Stelle in dem Ganzen haben, und darin ihre Bedeutung, aber auch Beschränkung finden. Von diesem Gesichtspuncte aus, vielmehr einer Grundansicht, die sich, wie ich hoffe, durch die Ausfuhrung rechtfertigt, ist der nachfolgende Versuch gear- beitet, der den einzelnen Theorieen, wie dem Geschichtlichen und Praktischen gröfsere Gerechtigkeit widerfahren läfst, als sonst jede dieser Seiten, allen andern, eben weil sie sich nicht als solche erkennen, sondern jede für das Ganze sich ausgeben und so fol- gerichtig die übrigen, als aufserhalb desselben stehend, nicht gelten lassen können und ausschliefsen müssen. Dieses Verhältnifs zu bestimmen, welches zwischen den s. g. Theo- rieen selbst, und zu dem positiven Rechte, und zwar dem Praktischen, aber zugleich in seiner geschichtlichen Gestaltung Statt findet, ist die Aufgabe, die ich mir gestellt, zu deren Erreichung es aber nothwendig war, einen höhern Standpunct anzunehmen — den des Rechts und der Gerechtigkeit — in ihrem allmäligen Hervortreten und in ihrer Verwirklichung, Es sollte keines Beweises bedürfen, dafs sie allein auch im Strafrechte die wahrhafte Grundlage sei, und eben so der höchste zu erreichende Zweck, und dafs auch nur auf derselben genügende Ergebnisse nicht blofs für die Wissenschaft, sondern, was damit zusammenfallt, für die Anwendung und Handhabung des Rechts gewonnen werden können. Das Bestreben, auf diesem Wege und von der durch denselben gebote- nen Gesinnung aus, durch diesen Versuch einen nützlichen Beitrag für die Wahrheit zu liefern, möge demselben freundliche Aufnahme verschaffen und die Nachsicht erwirken, die er bei der Schwierigkeit des Gegenstandes nothwendig bedarf. 6 B. Einleitung I. § 1. Verhältniss der sogenannten Strafrechtstheorien zu dem positiven Rechte überhaupt. 1. Ueber den so genannten philosophischen Theil des Strafrechts. Es ist bekannt, dass die sogenannte philosophische Behandlung der Strafrechtswissen- schaft, nachdem sie lange vernachlässigt worden war, endlich, wie es zu geschehen pflegt, dass dann die Sache leicht zum Extreme getrieben wird, auf Kosten des geschichtlichen eben so nothwendigen Standpunctes sich geltend gemacht, und selbst dem dogmatisch praktischen Rechte, neben unleugbaren Vortheilen auch Gefahr gebracht hat.1 Zwar hat man in der neuesten Zeit die Verwechselung des sogenannten allgemeinen und des soge- nannteu philosophischen Theiles, dem man wieder, in zweifacher Hinsicht unrichtig, den besondern oder positiven Theil entgegensetzte, vermieden; aber man hat sich noch nicht durchgängig von den Folgen jener irrigen Voraussetzung frei zu machen vermocht.2 Seite 2 3Es ist hier nicht der Zweck, in eine Kritik derselben nach allen ihren Seiten einzugehen, noch das oft Bemerkte, über das gegenseitige Verhältnifs von Philosophie, Geschichte und System des praktischen Rechts zu wiederholen, sondern nur einen Ausgangspunct für eine praktische Erörterung zu gewinnen, der gerade hier und in der Geschichte der wissenschaftlichen Behandlung zu suchen ist.4 Die frühern Werke über Strafrecht, von der Zeit an, wo sie, den kahlen Dogmatis- mus verlassend, der Philosophie (oder was man eben für solche ausgab, — oft freilich ohne alle Berechtigung) einen Einflufs einräumten, schicken der Darstellung des gemei- nen, in deutschen Ländern geltenden, Rechts eine Begründung des Strafrechts und eine Entwickelung der obersten Grundsätze desselben, nach irgend einseitig und willkürlich angenommener Theorie voraus, wie man sie wohl in einer philosophischen Rechts-und Staats-Lehre erwartet und findet, die aber hier, in einer Darlegung des positiven, histo- risch gebildeten Rechts, entweder müfsig und unfruchtbar blieb, wenn sie, gleichsam ein blofses Aufsenwerk, nicht im Systeme und dessen einzelnen Lehren Eingang fand und folgerecht durchgeführt wurde, oder, wenn diefs versucht wurde, unvermeidlich zu Wi- dersprüchen mit ausdrücklichen Bestimmungen der Gesetze, und dann natürlich zu der 1S. meine Abhandlung über die wissenschaftliche Behandlung des Criminal-Rechts, (vor meinem Sys- teme der Crim. R. W.) P. XII—XXII. und meine „Uebersicht der neuesten Systeme des Strafrechtsïn der Tübinger Zeitschrift für kritische Rechtswissenschaft Bd. II. Hft. 3. S. 465 etc. 2S. die angef. Uebersicht S. 471 und Wächter Lehrb, des 3Strafrechts S. 3. 35—38. ”Rofshirt” Entwicklung der Grundsätze des Strafrechts etc. Einleitung. 4Biener über die historische Methode und ihre Anwendung im Crim. R. X. S. 476 f. 605 f. und die Vorrede zu meinen Untersuchungen aus dem Gebiete der Straf -R. W. und die zu meinen historischpraktischen Erörterungen aus dem Gebiete des strafrechtlichen Verfahrens. 7 B. Einleitung Frage führte, die man sich hätte früher verlegen sollen, — in wiefern man berechtigt sei, eine speciale Theorie (z. B. der psychologischen oder der blofs äufsern Abschreckung) dem posi-Seite 3 tiven Rechte unterzulegen, ob dieses selbst, indem es sich nicht entschieden ausspreche, eine solche Freiheit gestatte, oder ob es selbst eine sogenannte Theorie mit Bestimmt- heit hinstelle und durchführe, und wie sich dieses zu der philosophischen verhalte? Es konnte aber bei der Beschaffenheit der Quellen und ihrer Entstehungsweise, wie der nur allmälig zu Stande gekommenen historisch praktischen Zusammenfassung derselben, in der Art, wie sie die Grundlage unseres gemeinen Rechts bilden, nicht fehlen, dafs man, unterstützt durch vorgefafste Meinungen, hier Bestätigungen für die entgegengesetzten Ansichten zu finden glaubte, besonders weil man Statt einer Würdigung des Ganzen und seiner organischen Glieder, und ausgehend von einer richtigen Bestimmung des Verhält- nisses der Philosophie zu dem positiven Rechte, sich mehr an einzelne gelegentlich in den Quellen vorkommende Aeufserungen hielt, denen man mit gleichem Rechte andere gegenüber stellen konnte, und die, wie wir sie finden, nirgends in der Absicht hingestellt sind, um ein ausschliefsendes Princip auszusprechen, wie denn auch ein solches sich nicht durchgeführt findet, wenigstens keines von denen, die man als solche ausgegeben hatte.5 II. § 2. Dessen Verhältnifs zu dem positiven Rechte. In den Werken der neuesten Zeit ist das Mifsver-Seite 4 ständnifs, welches aus der erwähnten Verwechselung entsprungen war, meist vermie- den; man hat nicht mehr den allgemeinen Theil für gleichbedeutend mit dem philoso- phischen genommen, da ja auch dessen Inhalt und Lehren positive sind, wie die des besondern Theiles, der übrigens der philosophischen, leitenden Grundsätze auch nicht entbehren kann;6 man hat gesucht, die Principien, die sonst eine sogenannte Strafrechts- Theorie darbieten sollte, aus dem positiven Rechteselbst zu entnehmen, zum Theil aber wieder darin gefehlt, dafs man entweder die philosophische Seite nicht genug, auch wohl gar nicht berücksichtigte, oder dennoch selbst bei der richtigen Methode nicht mit hin- länglicher Unbefangenheit in der Ausübung verfuhr — indem sich auf andern Wegen wieder die Vorliebe für irgend eine Theorie äufserte, und so lange man noch über die nothwendigen Grundlagen des Strafrechts, wie sie in der Rechtsidee liegen und sich in historischrationaler Gestalt ausgeprägt haben, im Streite und Zweifel ist, so lange immer wieder von Neuem einseitige Theorieen aufgestellt, oder solche, die in der bisherigen Wei- se der Begründung längst widerlegt sind, aus andern Rücksichten gerechtfertigt werden sollen, so lange folglich ein nothwendiger Gegensatz, nicht der Form nach — denn hier 5Von diesem Vorwurfe konnte besonders Feuerbach nicht freigesprochen werden (S. Note 5.), dessen Mißgriff um so gefährlicher war, je gröfser die Autorität war, die er, übrigens mit Recht, in unserer Wissenschaft ausübte. Wenn die Gefahr einigermaßen dadurch vermindert wurde, dafs er vorzugs- weise, wie es anerkannt ist, wieder zur Befolgung und Achtung der fast bei Seite gesetzten Gesetze mehr hinführte, so wurde sie doch defshalb nicht entfernt, weil die Auslegung der Gesetze nicht sel- ten durch das Vorurtheil bestimmt ist, dafs dieser das Princip des psychologischen Zwanges zu liege. Vergl. unten §. 25 fg. 6Wächter Lehrbuch S. 37 und mein System der Crim. R. W. § 29. 8 III. § 3. Gegenstand der folgenden Abhandlung. ist er wesentlich — sondern dem Inhalte nach zwischen philosophischem, geschichtlichem und praktischem Rechte angenommen wird, so lange wird es vergebens seyn, zu hoffen, dafs man solche allgemein giltige Grundsätze aus dem positiven Rechte entnehme, die wiederum mit Sicherheit im Dienste des Rechts und der Wissenschaft angewendet werden könnten, die dem mit der Ausübung der Strafrechtspflege beauftragten Rechtsgelehrten Anhaltspuncte gewähren, wo er — da das Gesetz nicht Seite 5 alle Fälle entscheiden, nicht alle mögliche Gestaltungen und Verwickelungen vorher- sehen kann, noch soll — an allgemeine Grundsätze ausdrücklich, oder durch die Natur der Sache gewiesen ist, die endlich auch dem Gesetzgeber förderlich seyn möchten, in sofern er, was jetzt wohl allgemein zugegeben wird, und in Staaten, die mit ihrer Rechts- sitte auf geschichtlichem Grund und Boden wurzeln, auch nicht anders seyn kann, nicht durchgreifend Neues in vollem Umfange zu bestimmen, sondern vielmehr der organischen Entwickelung des volksthümlichen Rechts, nach dem erkannten wahren Bedürfnisse der Zeit, zu Hilfe zu kommen, dieselbe zu fördern den Beruf hat. Wissenschaft, Anwendung und Gesetzgebung sollen auf einer gemeinsamen, nicht erst zu schaffenden, Grundla- ge ihre Arbeiten unternehmen, deren Richtungen zunächst aus einander, dann aber zu einem gemeinsamen Ziele wieder zurückgehen, sie haben eine alte, längst vorhandene Wahrheit anzuerkennen, nicht erst sie, und jede etwa für ihr Bedürfnifs, eine andere zu erfinden, — denn es ist nur eine, und diese ist nicht so verborgen, als man oft sich oder Andern glauben machen will. III. § 3. Gegenstand der folgenden Abhandlung. Es wird also darauf ankommen, einen Standpunct zu gewinnen, der über jenen, selbst nothwendigen Gegensätzen, über jenen einseitigen Richtungen stehe, um sie in ihrem notwendigen Zusammenhange und ihrer Einheit zu erfassen, wodurch es zugleich möglich wird, jedem Theile, jeder Seite die gebührende Stelle im Systeme anzuweisen, und ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es mufs zu diesem Ende die schon früher gemachte Bemerkung wiederholt werden, dafs die philosophische, d. i. die vernünftige, speculative Betrachtung des Gegenstandes wesentlich verschieden sei von der blofs rationalistischen, Seite 6 der Verstandes-Reflexion, vollends der Klugheit und dem Witze, die man so häufig durch eine auffallende Verwechselung sich an die Stelle derselben setzen sieht. 7 Jene, die es mit der Sache selbst, mit ihrem Begriffe und Wesen zu thun hat, soll nicht als von Aufsen her die Vernunft erst hineinführen, sondern die darin enthaltene und ausge- sprochene aufzeigen, die Sache ihrem Begriffe nach erfassen, diesen entwickeln, so dafs ihre Arbeit eine geschichtliche ist. Indem wir den Gegenstand (z. B. die Strafe, die Straf- gerechtigkeit) begreifen, zeigen wir ihn als nothwendig auf, und dieses ist die wahre Begründung, das eigentliche wissenschaftliche Beweisen desselben. Dazu gehört aber, dafs er in seinen nothwendigen Unterschieden und Gegensätzen, seinen Entwickelungs- 7Was hier nur kürzlich angedeutet ist, habe ich in verschiedenen Abhandlungen und Kritiken auszufüh- ren gesucht, unter andern in den Erlanger Jahrbüchern der gesammten jurist. Literatur Bd. XVII. 8. 16 - 54 und in der angef. Abh. von dem Systeme der Crim. R. W. S. XXXI fg. 9 B. Einleitung momenten, und dann wieder in der Vermittelung derselben und ihrer höhern, hieraus hervorgehenden Einheit, nach den im Begriffe selbst liegenden Kategorieen betrachtet werde. Indem nun ferner die Idee, die sich nothwendig äufsert, und nicht blofs an sich und jenseits seyn kann, ihre Wirklichkeit, aber freilich in allmäliger Ausbildung, in histo- rischer Gestalt erlangt, so hat die Philosophie es mit dieser Wirklichkeit zu thun, sie hat in dem Gegebenen, Positiven, dem Daseienden das Wesentliche, als die ihm inwohnende Wahrheit zu erkennen, und von dem Zufälligen und schlechthin Aeufserlichen, dem ein Inneres nicht entspricht, zu sondern. Hiermit ist denn das Verhältnifs der Philosophie zur Geschichte bestimmt, was wir gleich näher für das Recht, und namentlich das Strafrecht andeuten. Beide sind nämlich nicht unverein-Seite 7 bare, feindliche Gegensätze, sie sind verschiedene, einander bedingende und gegen- seitig voraussetzende Seiten eines und desselben Ganzen. Wenn das Innere, die Idee, sich nothwendig äufsert, das Aeufsere aber ein solches wahrhaft nur ist, in sofern es der Ausdruck eines Innern ist, so dafs beide zusammen den Begriff des wirklichen Gegenstan- des bilden, so wird nicht nur jenem die Philosophie, diesem die Geschichte entsprechen, sondern es wird zugleich jede derselben die andere als eine nothwendige Seite an sich ha- ben; die Philosophie wird aus dem Geschichtlichen den innern Gedanken entwickeln, die Geschichte wird denselben in nothwendiger Aeufserung stufenweise darstellen, und was sie an sich sind, wird auch ihre wissenschaftliche Methode seyn — mit andern Worten, die Philosophie wird geschichtlich, die Geschichte philosophisch zu behandeln seyn, und beide werden sich, von einem Puncte ausgehend, eine Zeit lang scheinbar trennend, in ihrem End- und Ziel-Puncte wieder begegneten 8Seite 8 8Vielleicht wäre der Gegensatz der sogenannten philosophischen und der sogenannten historischen Schu- le weniger zur Parteisache, und zu der Bedeutung einer Ausschliefslichkeit der einen Methode im Ver- hältnisse zu der andern geworden, wenn man unbefangen genug gewesen wäre, anzuerkennen, dafs die von der einen Seite vertheidigte Methode selbst die andere, die man verwarf, als ein wesentliches Moment an sich habe, und so auch umgekehrt. Diefs ist freilich nur richtig, wenn jede dieser Me- thoden als eine wahrhaft wissenschaftliche aufgestellt und begründet wird, und pafst nicht, auf die bis zum Extreme getriebene Einseitigkeit, die zwar auch ihren bedingten, negativen Nutzen haben mag, aber nur als Durchgang zu einem höhern Standpuncte. Die Folge jener Einseitigkeit, die denn unvermeidlich vom Ziele abführte, war das unter diesen Umständen natürliche Bestreben, dasselbe ohne Philosophie und Geschichte erreichen zu wollen, und jene beiden für die Erlernung (ich sage nicht Wissenschaft) des jetzt geltenden Rechts und für dessen unmittelbare Anwendung mindestens für entbehrlich auszugeben, wenn man ihnen 10 C. Erster Theil. Philosophisch-historische Entwickelungder Begriffe von Verbrechen und Strafen. I. §. 4. Deren Charakter im Allgemeinen. 1Wir sind berechtigt, sonach beide Seiten der folgenden gedrängten Andeutung zu ver- binden, und die positive sogar voranzustellen, weil sie die frühere ist. Recht und dessen weitere Folgen und Gestaltungen, Staat, Strafe etc. sind nicht Gegenstand einer verstän- digen Aussinnung, als deren Ergebnisse sie dann hinterher eingeführt und angenommen worden wären, sondern sie sind, indem die Idee sich ein ihr angemessenes Daseyn in der Zeit zu geben bestrebt, vorhanden, ehe das Denken auf dem Standpuncte fortgeschritte- ner Bildung sich die Aufgabe setzt, jenes unmittelbar Existirende in seiner Berechtigung, seinem nothwendigen Begriffe darzustellen und so, wie es die Aufgabe der Wissenschaft ist, es zu einem Vermittelten zu machen» So kann man denn auch nicht umhin, das Be- stehende, das Positive in seiner Erscheinung und allmäligen Ausbildung — der es selbst bei einzelnen und loca- Seite 9 len Rückschritten, doch im Ganzen stets entgegengeht, in das Gebiet der Betrach- tung zu ziehen. Nur freilich, da nicht Alles und Jedes, was irgend einmal bestand und galt, oder noch gilt, darum allein schon eine absolute Berechtigung hat, da es möglicher Weise diese nur für seine Zeit und seinen Standpunct in einem Zusammenhange von Verhältnissen hatte, mit deren Verschwinden es selbst seine Ansprüche verloren hatte, ja, noch mehr, da Manches selbst für jenen relativen Standpunct unberechtigt war, so ist die Aufgabe der Philosophie, das Nothwendige herauszufinden, das unwandelbar Wahre von dem vorübergehenden und dem zufälligen zu sondern, und in der Nothwendigkeit des Vernunftbegriffs eine höhere aufzuzeigen, als die blofs bedingte, der Rechtsgeschichte in einem zwar nicht weniger wichtigen, aber doch untergeordneten Sinne angehörigen, wonach unter diesen gegebenen Umständen, Voraussetzungen, Umgebungen etc. die Ent- wickelung der Rechtsidee bei diesem oder jenem Volke, zu dieser Zeit etc. gerade eine bestimmte Richtung annahm, ihrem Ziele in dieser Weise näher gebracht oder von dem- selben entfernt wurde. 1nicht noch Schlimmeres nachsagte. Aber so wie jene, richtig verstanden, einander anerkennen, so er- kennt sie verbunden eine tüchtige wissenschaftliche Auffassung des dogmatischen Rechts, zum Zwecke der Praxis, als Grundlagen an, und die wahrhafte wissenschaftliche Methode, welche über allen diesen besondern Methoden steht und sie beherrscht, vereinigt sie als gleich nothwendige, gleich berechtigte Momente des Ganzen. Geschichtlich aber wird (unabhängig davon, dafs in einer bestimmten Zeit die Wissenschaft zum Bewufstseyn ihrer Methoden kommt und Rechenschaft ablegt) die Sache sich so gestalten, dafs bald die eine, bald die andere die vorherrschende ist, aber ohne die Anerkennung des Gegensatzes, als der nothwendigen Unterschiede der Einheit, und mehr so, dafs einem gewissen Tacte oder Gefühle als deutlicher Erkenntnifs gefolgt wird. 11 C. Erster Theil. II. §. 5. Gewöhnliche Weise der Begründung des Strafrechts, insbesondere durch Beziehung desselben auf einen Zweck Wird aber in den Lehrbüchern des positiven, namentlich des gemeinen deutschen Straf- rechts, eine Begründung durch den Begriff, nicht in dem so eben angegebenen Sinne vorausgeschickt, um eben das Bestehende zu rechtfertigen, nicht um aus dem Grundbe- griffe die weiteren Folgen abzuleiten, sondern geschieht dieses in der Absicht, erst eine Untersuchung über die Zulässigkeit und allenfalls Unentbehrlichkeit der Strafe anzustel- len, so kommt diese entweder zu spät, wenn sie zu dem Ergebnisse führte, dafs die Strafe widerrechtlich wäre, oderSeite 10 es ist dabei eine Täuschung, indem man denn doch schon bei einer Untersuchung, deren Ziel angeblich erst entdeckt werden soll, dieses vorher bestimmt hat, so dafs dieses die Statthaftigkeit der Strafe ist, die dann mit einem Aufwande von Klugheit und Ver- stande, als Nützlichkeit, oder sonst einem äufsern Zwecke entsprechend dargestellt wird. 2 Letzteres ist der gewöhnlichere Fall, und man kann alle sogenannten relativen Theorie- en hierher rechnen; aber auch manche Vertheidiger der Gerechtigkeitstheorie verfahren in dieser Weise und schaden dadurch der an sich guten Sache. Indessen fehlt es auch nicht an neuern Beispielen der zuerst bezeichneten Weise, wo man das Strafrecht als sol- ches rechtfertigen zu können, für unmöglich gehalten hat, wo man geradezu einräumte, es sei ein Unrecht, ein Uebel, aber ein unvermeidliches, für dessen Anwendung sich nur allenfalls der Grund- geltend machen liefse, dafs es dazu diene, ein gröfseres Uebel zu vermeiden, dafs also im Staate und durch denselben, im Widerspruche mit seiner sittli- chen Bedeutung und mit seinen Anforderungen, im Widerspruche mit den sonst in, ihm anerkannten Grundsätzen der Religion, der Sitte und des Rechts, wissentlich Unrecht ge-Seite 11 übt werde, um gröfserem Unrechte, d. h. nicht dem verübten Verbrechen, als ver- gangenem, wie die blofs äufsere Vergeltung will, sondern dem künftigen, welches die Straflosigkeit und das böse Beispiel hervorbringen würde, zu begegnen. 3 Hier ist denn 2Weniger ist dieses bei den altern Lehrbüchern der Fall, als bei den neuern, welche der Form des Feuerbach’schen folgen. Unter diesen hat jedoch das Grolman’sche im allg. Theile selbst und besonders rücksichtlich der Principien, die philos. und positive Darstellung passend geschieden. Einige nun haben die sog. philosophische Begründung fast ganz bei Seite gesetzt, was ebenfalls nicht zu billigen ist, sofern man nicht eben diese Begründung aus einem andern Gebiete (z. B. dem sog. Naturrechte) voraussetzt. Diese letztere aber in den Vortrag des Strafrechts mit aufzunehmen, empfehlen bekannte methodische Rücksichten, nur darf man sie nicht als Ersatz für die Frage betrachten, welches das Princip des positiven Rechts sei. In der neuesten Zeit hat zuerst Wächter beide Gesichtspuncte getrennt, Lehrbuch g. 23 fg. u. §. 29., und nach ihm mein System §. 31 fg. 47 fg. 3Gestattet man ein Mal einen solchen, der Wissenschaft fremden Standpunct der Verzweiflung, die Sache in ihrem Begriffe und in ihrer Nothwendigkeit zu erfassen, so kann man zugeben, dafs in dem freilich verfehlten Versuche von Dr. Barth über den Rechtsgrund der Strafe, Erl. 1833, Manches nicht ohne Witz hingestellt sei. Wenn dieser aber S. 7 fg. 19 fg. meint, die Unrechtmäfsigkeit der Strafe werde allgemein zugegeben, und diese unwahre Behauptung eben durch die sonst überflüssigen Bestrebungen, die Strafe zu rechtfertigen, unterstützen will, so darf man wohl fragen, ob ihm dann das. Recht überhaupt, das Privatrecht, die sittliche. Freiheit der Person, des Staats etc. aus dem Grunde als Unrecht erscheine, oder als nicht bestehend, weil die Wissenschaft auch diese zu beweisen sucht? 12 II. §. 5. GewöhnlicheWeise der Begründung des Strafrechts, insbesondere durch Beziehung desselben auf einen Zweck von Gerechtigkeit und der Pflege derselben nicht mehr die Rede, oder es wäre ein leeres, gedankenloses Aussagen, wenn nach solchen Systemen noch immer (wie es aus bessern Gründen die Gesetze des Staats und die unbefangenen Ansichten der Herrscher und der Regierten aussprechen,) von Recht und Gerechtigkeit, die da herrschen und geltend ge- macht werden sollten, schöne Worte gemacht werden, es ist inconsequent, wenn, nachdem einmal die Ungerechtigkeit das Princip seyn soll, innerhalb des Gebiets, wo dieses zur Anwendung kommen soll, die Forderung gerechter Strafbestimmung, des Gleichmafses etc. aufgestellt wird. Zwar, wenn wirklich der Staat und sein Recht von solcher bodenlo- sen Willkür und Widerrechtlichkeit ausgingen, möchte man solche Inconsequenz noch für ein Glück erachten und darin eine Bestätigung der auch sonst nicht seltenen Erfahrung finden, dafs sich die wahren und vernünftigen Grundsätze von selbst in irgend einer den Zeitumständen Seite 12 angemessenen Weise geltend machen, auch wenn sie eine Zeitlangverkannt werden. 4 Auch die relativen Theorieen, die in der Strafe nur ein Mittel für einen äufsern Zweck, nicht die Nothwendigkeit und Gerechtigkeit selbst finden, und sie hiernach erst verthei- digen, würde man in diese Classe rechnen müssen, wenn sie rein in ihrer Einseitigkeit sich erhielten, und wenn nicht, wie ich anderwärts ausgeführt habe, 5 meistens jener tiefere und einzig wahrhafte Grund stillschweigend vorausgesetzt würde, und in seinen nicht zurückzuweisenden nothwendigen Folgen ein Zugeständnifs abnöthigte, das sich ohne Nachtheil nun einmal nicht verweigern läfst, wie denn der schlichte Verstand und das praktische Leben, unbekümmert um die scharfsinnigen Klügeleien, mit denen man etwas Anderes au die Stelle des Rechts zu setzen sucht, an diesem letztern vesthält, und sich so in Uebereinstimmung mit dem natürlichen sittlichen Gefühle des Rechts und der Lehre der Religion setzt, in welcher die Gerechtigkeit eine wesentliche Stelle einnimmt. 6 Und daraus, dafs diese Seite 13 7letztere eine höhere göttliche ist, folgt keineswegs, dafs in den weltlichen Verhältnis- 4Dieses habe ich unter Anderem bei Gelegenheit der neuerlich behaupteten Nothwehr-Theorie ausge- führt, die zwar zunächst auch auf eine rechtliche Begründung der Strafe Verzicht zu leisten, oder dieselbe für unmöglich, vielleicht für entbehrlich zu halten scheint. In der That aber setzt sie viel- mehr, um die Strafe zur Vertheidigung gegen das Unrecht gebrauchen zu können, die Rechtfertigung derselben schon voraus; sie will nicht die Strafe an sich, sondern als Mittel zum Zwecke rechtfertigen. Zum Theil gehört hierher die wieder unlängst aufgestellte Behauptung, dafs das Strafrecht der Policei anheimfalle. Schauberg über die Begründung des Strafrechts. S. meine Abh. in den Erlanger Jahrb. XVI. S. 262 Bd. XVII. S. 124 fg. 190. 238 fg. XXII. S. 233 fg. 5Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 1833. Nro. 66. S. 522 fg. 6Der gesunde Menschenverstand urtheilt, dafs dem Verbrecher in der Bestrafung Recht geschehe, dafs er, wie er verdient habe, behandelt werde. Der ältere, auch in den Gesetzen beibehal- 7tene Sprachgebrauch nennt die Strafe eine Rechtfertigung, insbesondere wird auch in den C. C. C. Art. (S. Note 129.) in diesem Sinne die Bezeichnung, peinlich rechtfertigen, für die Todesstrafe gebraucht. Auch die Urtheilsformel: „ ihm selbst zur wohlverdienten Strafe, Andern zum abschreckenden Beispie- leünd der Schlufs „von Rechtswegen"bezeichnet dieses. Es liegt hierin eine Anerkennung des Princips der Rechtmäfsigkeit der Strafe, und eine Ahnung ihrer sittlichen Bedeutung, dafs sie auf die Schuld bezogen, dieselbe sühne und tilge. Nur in der Strafe, wenn sie der Schuldige wahrhaft erfafst, wird er gerechtfertigt, und das gebrochene Gesetz nach allen hier eintretenden Beziehungen und auch an seinem Willen hergestellt. Es ist daher eben so sehr wahrhaft tragisch, als auch richtig gedacht, dafs in Göthe’s Faust — dem ersten Theile — die zum Tode verurtheilte Gretchen von der Gelegenheit, zu fliehen und sich der Strafe zu entziehen, keinen Gebrauch macht, sondern sich derselben unterwirft. 13 C. Erster Theil. sen etwas Anderes, als Gerechtigkeit herrschen sollte, dafs wir nicht, wie sehr wir auch stets von dem erhabenen Ziele entfernt seyn mögen, mit allem Eifer der Erreichung, mindestens der möglichsten Annäherung nachstreben sollten. Es soll hier nicht die Ab- leitung des Strafrechts aus s. g. göttlichem Auftrage vertheidigt werden, — es müfste dieses, — was übrigens auch wohl einer richtigen Bedeutung fähig ist, da ja die Vernunft etc. auch göttlich und von Gott ist, jedenfalls in anderer Weise begründet werden, als es bisher nnd selbst von Theologen geschehen ist; es genüge nur die Bemerkung, dafs viele Mifsverständnisse nicht minder bei der Vertheidigung, als der Widerlegung dieser Theorie, vorgekommen sind. 8 Dagegen gehören in jene ClasseSeite 14 unmittelbar aus dem göttlichen Auftrage abzuleiten, das andere die religiöse Seite schlechtweg zu leugnen. Und eben so leicht macht man es sich dann mit der Widerle- gung, indem die Gegner der ersten Ansicht sich auf die Unnachweislichkeit eines solchen Auftrags, die der andern auf einige, meist alttestamentarische Schriftstellen berufen. Mit dem Vorwurfe der Einmischung religiöser Grundsätze in das Recht hat es eine ähnliche Bewandnifs, wie mit der angeblichen Verwechselung der Sitte und Moral mit dem Rech- te. Was letzteres, ohne jene ihm selbst wesentliche Elemente sei, kann man aus manchen Folgen sehen, eben so, was eine gottverlassene Gerechtigkeit sei, eine solche, die ihren eigenen Ursprung vergifst. Allerdings kann der eigentlich theokratische Charakter des Strafrechts, wie er in irgend einer frühern Periode bei den Völkern sich zeigt, nicht auf die Dauer sich behaupten, nachdem die unmittelbare Einheit des geistigen und welt- lichen Princips in ihre nothwendige Unterscheidung tritt; es liegt aber auch darin die richtige Ahnung einer tiefern Bedeutung der Strafe, als blofser Schutzmafsregel, eine Ahnung, dafs das Unrecht der Gottheit mifsfällig sei, und gesühnt und gebüfst werden müsse. Freilich hat man mit Recht erinnert, dafs der weltliche Richter nicht ohne Ver- messenheit sich an die Stelle eines höhern gesetzt wähnen dürfe, um hienieden göttliche Gerechtigkeit zu üben, dafs ihm und der Obrigkeit hierzu kein Auftrag geworden, und auch die Ausführung desselbenunmöglich sei. Allein eine solche, nicht minder die Be- deutung dessen, was wir die Gerechtigkeit Gottes nennen, als die des Rechts auf Erden verkennende Behauptung, ist wohl auch schwerlich im Ernste aufgestellt worden. Wenn ein religiöses Element auch im Strafrechte vorhanden ist, so umfafst dieses Theils nicht das ganze Gebiet, Theils entledigt es nicht die Verbindlichkeit, das Strafrecht selbst- ständig zu begründen, da es nicht unmittelbar mit jenem zusammenfällt. Vorhanden aber ist es, und für die Anwendung ist zunächst der Sinn, dafs wir, die göttlichen Leh- ren befolgend, Gerechtigkeit üben an uns selbst und gegen Andere, und hierfür fehlt es nicht minder an Gründen und Beweisen, wie an Bestätigungen durch die Geschichte. Vergl. übrigens über die verschiedenen geschichtlichen Auffassungen selbst Welker die letzten Gründe von Recht, Staat und Strafe etc. S. 21 fg. 535, und meinen Comment de antiquiss. Romanorum jure criminali §. 26. und über die Ansichten Neuerer von der religiösen Grundlage des Strafrechtsdie Theorieen, welche, die Frage nach dem Rechte ganz bei Seite setzend, oder das Recht geradezu verneinend,Seite 15 Nur so konnte auf die Worte: „.sie ist gerichtet"die „Stimme von Oben"rufen: „sie ist gerettet." 8Es sind zwei Extreme, die man um so häufiger wahrnimmt, je leichter es der nur oberflächlichen Behandlung wird, eine Sache (wie sie wenigstens glaubt) zu erledigen, für die man sich keine geistige Anstrengung zumuthen will — das eine nämlich, das Strafrecht 14 III. §. 6. Historisch - philosophische Methode. 9 die Lehre von der Strafe etc. völlig von dem Rechtsgebiete ausschliefsen und ihr bei der Policei ihre Stelle anweisen. 10 Scheinbar vermeiden diese Theorieen jene, glücklich genannte, Inconsequenz — aber nur scheinbar, weil Recht und Policei nicht den schar- fen Gegensatz machen, den man hier annimmt, sondern wesentliche Glieder des höhern sittlichen Rechts des Staats sind, wie denn auch innerhalb der Policei, wo sie rechtliche Seiten berührt, das Rechtsprincip seine nothwendigen Ansprüche geltend macht, wobei man wieder von der blofsen Lehre auf die Wirklichkeit und das erkannte Bedürfnifs sich beziehen darf.11 Seite 16 III. §. 6. Historisch - philosophische Methode. 12Wenn es nun richtig ist, wie nach dem Standpuncte der Wissenschaft unserer Zeit wohl angenommen werden darf, dafs das vernünftige Moment sich auch in der Geschichte aus- spreche, das Geschichtliche auch in der Philosophie, so werden wir berechtigt seyn, einige allgemeine Bemerkungen vorauszuschicken,die sich auf beide in gleicher Weise beziehen, und ihre Bestätigung finden. Der Begriff hat nämlich in seinen Entwicklungsstufen, die er in seiner Realisirung zu durchlaufen hat, und wodurch er als Aeufserliches der Geschichte mit ihren Bedingungen anheimfällt, auch seine geistige Geschichte. Den nothwendigen Kategorieen desselben entsprechen daher, nur in mannigfaltiger Gestalt, unter dem Ein- flusse gegebener zeitlicher und örtlicher, nationaler etc. Verhältnisse, die geschichtlichen Erscheinungen, wenn man für beide nicht in Abrede stellt, dafs im Ganzen überall ein Fortschreiten, zum Vollkommneren, wie es nach dem Plane der Fürsehung in der Auf- gabe des Menschengeschlechts liegen mufs, Statt finde. Wenn jene sonst stillschweigend zugegebene Wahrheit Widerspruch findet, nicht bei denen, die die Vernunftmäfsigkeit auch in dem Positiven und Historischen leugnen; denn diese, die nur Zufall und Willkür sehen, befinden sich auf einem so sehr verschiedenen Gebiete, dafs in Ermangelung eines 9oder dem Gegentheile v. Droste - Hülshof Einl. in das Crim. R. §,11. Rofshirt Lehrbuch etc. §. 101. Göschel zerstreute Blätter aus den Hand- und Hilfsacten eines Juristen S. 468 fg. Stahl die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht Thl. II. S. 81 fg. Link über das Naturrecht unserer Zeit als Grundlage der Strafrechtstheorieen. 10S. Note 10. a. E. und vgl. überhaupt für diese Lehre die von Juristen meist übersehene Abh. von Herrmann de fundamento juris puniendi, in dessen Opuscul. Vol. I. Nr I. 11Der Name überhaupt ist nicht geeignet, eine wesentlich andere Ansicht der Sache hervorzubringen. Unter der Benennung:„guter Policei,"kommen in den Reichsgesetzen und in den Reichs-Policei- Ordnungen eine Menge Bestimmungen vor, die ihrem Inhalte nach dem Rechte angehören. Insbe- sondere aber macht die Policei ein ihr ebenfalls zu Grunde liegendes Rechtsprincip auch in ihrer Thätigkeit geltend, und wenn hier und da ein Mißtrauen gegen Policei in mehr äufserlichem Verstan- de sich ausgesprochen, wenn man eine schärfere Bestimmung ihrer Grenze gefordert hat, so bezieht sich dieses eben darauf, das eigentliche Rechtsprincip in Schutz zu nehmen, auf eine Weise nach In- halte und Form, wie sie bei dem praktischen Bedürfnisse die Policei im engern Sinne nicht zuläfst. Gesetzt nun, das Strafrecht wäre ein Theil der Policei in der weitern Bedeutung, so würde es doch, wenn nicht Gefahr und Mißbräuche entstehen sollten, einen Gegensatz gegen die Policei im engern Verstande ausmachen, und insbesondere auch gegen die Crimi- 12nal-Policei und die policeiliche Strafgewalt, wobei die Grenzen sich aber nicht anders, als nach gegebe- nen concreten Rücksichten bestimmen liefsen. Ueber die verschiedenen Ansichten s. Mokl diePolicei- Wiss. des Rechtsstaates, der aber richtig das Recht auch derPolicei zu Grunde legt, und darin die Grenzen der letztern nachweist I. S. 37 fg. und sonst. 15 C. Erster Theil. gemeinschaftlichen Ausgangspunctes weder wissenschaftlicher Streit, noch Einigung mit derselben möglich ist — nein, auch von Seiten derSeite 17 der im Principe Uebereinstimmenden, so darf man nicht verhehlen, d afs nicht blofs erklärliche Mißverständnisse hieran Schuld sind, sondern auch wirkliche Mifsbräuche und Täuschungen der Phantasie, indem hier und da, aus vorgefafster Meinung, dem Ge- schichtlichen Gewalt angethan, Manches gegen die Wahrheit genommen, Manches bei Seite gesetzt worden ist, um nur Bestätigungen zu erlangen. Es wurde dabei übersehen, dafs der Begriff und die Vernunftidee nicht einen unmittelbaren Ausdruck, oder eine völlige Identität in dem Aeufsern, Historischen haben könne, es wurde auf gleiche Weise seine Natur und die des Geschichtlichen, so wie der innerhalb dieses letztern liegende nothwendige Unterschied, dessen oben gedacht ist, verkannt. Jetzt scheint eine gründli- chere Behandlung der Philosophie und der Geschichte auch im Gebiete des Rechts eben so sehr jene Gefahr des Mifsbrauches zu entfernen, der vornehmlich in dem Mangel einer vorurtheilsfreien Erforschung des gegebenen Stoffes lag, als den Weg zu einer Vereini- gung zu bahnen, für die unter Anderem auch im Gebiete des Strafrechts in neuester Zeit sich mehrere Stimmen erhoben haben, und die denn auch, hoffentlich nicht ohne Erfolg, in einzelnen Lehren und Anwendungen durchzuführen gesucht worden ist. 13 IV. §. 7. Hieraus abgeleitete Stufen der Begriffs - Entwickelung. Erinnern wir uns jetzt nochmals, dafs die Idee des Rechts wesentlich auch ein Daseyn hat und somit positiv ist, dafs das Recht nicht gemacht, nicht erfunden, dafs es vielmehr, in welch’ mangelhafter Form auch zunächst, vorhanden und als solches anzuerkennen ist, so haben wir auch bei der Betrachtung der Strafe ihre Natur, ihren Begriff in seinen Momenten zu erfassen, nicht aber sieSeite 18 erst als Mittel irgend eines äufserlichen, ihr selbst und ihrem Grunde, der Gerechtig- keit, fremden Zweckes einzuführen. Die Kategorieen ihres Daseyns sind nun auch hier ihre erste unmittelbare Erscheinung, ihre noch ungetheilte Einfachheit - von welcher der nächste Schritt des gegen das blofs natürliche Gefühl — des Rechts etc. hervortre- tenden Bewufstseyns und des reflectirenden Verstandes, die Trennung in die besondern Momente ihres Begriffs und das selbstständige Hervorheben des einen oder andern der- selben, mittels Beziehung auf Zwecke ist, wodurch jenes ursprüngliche Princip einerseits ein nothwendiges Schicksal erleidet, indem bei ihm und seiner noch nicht durch das Bewufstseyn des Geistes entwickelten Form nicht stehen geblieben werden darf, ande- rerseits aber in jener Trennung und Isolirung der Bestandtheile und dem Verluste des Princips selbst, an dessen Stelle die Verstandesrücksichten der Nützlichkeit etc. treten, ein Unrecht liegt, welches nur als Durchgangsmoment, nicht aber so berechtigt ist, dafs es für sich und als letztes bestehen dürfte. So nothwendig also jene Entzweiung ist, so nothwendig ist ein weiterer Fortschritt von der Verstandesrücksicht zu der Vernunft, dem Grunde zu einer vermittelten Einheit, welche darum eine solche und eine höhere als 13S. die Note 3. angef. Abh. von Biener. 16 IV. §. 7. Hieraus abgeleitete Stufen der Begriffs - Entwickelung. die erste unmittelbare ist, weil sie, indem sie eine Stufenreihe ihrer Bildung durchlaufen hat, zugleich die Ergebnisse derselben und das Bewufstseyn vesthält, so dafs in dieser vernünftigen Einheit alle frühern, auch die gesonderten Momente und Seiten mit enthal- ten sind. Sie sind nicht untergegangen oder aufgehoben, sondern ihrem Wesen nach, so weit sie als Momente der Wahrheit eine Berechtigung haben — und sie haben sie nur ah diese — in dem Ganzen aufgenommen, aber nur in und mit diesem, nur in Beziehung auf den gemeinschaftlichen Mittelpunct. Jedem ist so seine Stelle angewiesen und sein Recht erhalten, aber keine« hat für sich und den andern gegen Seite 19 über, keines unabhängig von dem wesentlichen Grunde, der Gerechtigkeit, eine aussch- liefsende Berechtigung. Sie stehen jetzt in dem Verhältnisse gegenseitiger nothwendiger Anerkennung, und diese Stufe des in seiner wesentlichen Gliederung sich äufsernden Be- griffs, der Darlegung seiner Einheit in seinen nothwendigen Unterschieden ist den andern gegenüber die reichere vollkommnere. Sie ist auch die wahre, weil sie auf gleiche Weise in der Geschichte des Denkens und den äufserlichen Gestaltungen des Gedankens ihre Bestätigung findet; sie ist gerecht, weil sie ihr Princip — das der Gerechtigkeit, durch welches sie besteht, auch auf alle frühern Momente anwendet, jedes an seiner Stelle gelten läfst, keines, das überhaupt Tor ihr Giltigkeit hat, verleugnet und so die Widersprüche versöhnt, deren Auflösung bei dem Kampfe aller gegen alle — mit gleicher Berechti- gung oder gleichem Unrechte — auf der zweiten Stufe vergebens erstrebt wird, wie man sich leicht aus der Weise der bisherigen Kritiken über Strafrechtstheorieen und deren Ergebnissenüberzeugen kann. 14 Seite 20 14Diese Ansicht, die nicht blofs im Gebiete der Strafrechtstheorieen, sondern in allen andern Gebie- ten der Wissenschaft, namentlich in der Geschichte der Philosophie, sofern diese selbst auch eine philosophische ist, sich als die richtige erweiset, und die allein geeignet ist, eine Versöhnung der ver- schiedenen Theorieen zu Stande zu bringen, habe ich in ihrer Anwendung auf bestimmte Lehren, unter Anderem bei Gelegenheit der Frage über die Rechtmäfsigkeit der Todesstrafe, die natürlich von den verschiedenen Standpuncten aus verschieden beantwortet und aus verschiedenen Gründen gebilligt oder verworfen wird, auszuführen gesucht in der Not. 11. angef. Jahrb. für wissenschaftliche Kritik. — Dagegen die meisten Schriften über die verschiedenen Theorieen gehen von derselben Me- thode aus, wie sehr sie auch sonst wieder untereinander abweichen, nämlich sämmtliche Theorieen, mit Ausnahme der des Verfassers, als unrichtig aufzuzeigen, welche letztere denn gleiche Behandlung von irgend einer 17 C. Erster Theil. V. §. 8. 1. 1. Der unmittelbare Standpunct, die Verletzung und die Rache, und das Strafrecht der Familie. 15Diesen Stufen, die man sehr häufig im Gebiete der Geschichte des Rechts, der Sitten etc. mit den Stufen des Lebensalters, der Kindheit, dem Jünglings- und Mannes-Alter, und der Reife und Weisheit des Greisen, nicht überall passend verglichen hat, 16 entsprechen nunSeite 21 17in der geschichtlichen Erscheinung der Strafe ebenfalls drei Entwickelungsmomente, 15andern Seite her erfahrt. Unvermeidlich ist dabei, dafs sowohl in der Berichterstattung über die andern Theorieen und deren versuchte Begründung, als bei der Beurtheilung derselben sich eine gewisse Parteilichkeit und ein Vorurtheil zeigt, weil schon der Standpunct, von welchem ausgegangen wird, da er nicht der allgemeine, über allen besonderigen stehende ist, gewissermafsen dazu nöthigt. Vgl. z. B. Richter das philos. Strafrecht, gegründet auf die Idee der Gerechtigkeit, und meine Kritik in den Jahrb. f. wiss. Kritik. 1830. N. 111. S. 881—895. Hepp kritische Darstellung der Strafrechtstheorieen etc. und Bauer die Warnungstheorie, nebst einer Darstellung und Beurtheilung aller Strafrechtstheorieen, mit meinem Systeme S. XXIX und meine Abh. in den Jahrb. der jurist. Literatur XVII. S. 16 fg. 16Alle solche Vergleiche dürfen nicht zu weit getrieben werden, wenn nicht der Phantasie zu grofser Einflufs auf Kosten der Wahrheit eingeräumt werden soll. Nichts ist einfacher, als die Stufen der Entwickelung, der Zeit nach, wie sie der Einzelne durchmacht und so weit es der Fall ist, auch auf das physische und geistige Leben der Völker überzutragen. Dabei dringt sich aber gleich die Betrachtung auf, dafs die Grenzbestimmungen und Scheiden anderswoher, nämlich aus den Ergebnissen der Volks- bildung, nicht aus dem, nach einer gewissen Zeit abzumessenden, Alter entnommen werden müssen, dafs daher ein Volk in der nämlichen Zeit mehrere Stufen überschritten haben könne, während ein anderes auf einer niedern Stufe noch länger stehen bleibt, vielleicht, weil es selbst aus der Geschichte, wenigstens als thätiges verschwindet, nie zu einer hohem gelangt. So wird man bald dahin kommen, nicht mehr das einzelne Volk mit seiner Rechtssitte für sich in seinen verschiedenen Lebensperioden zu betrachten, sondern bei der Anerkennung eines Zusammenhanges des Lebens aller Völker und der Zeit überhaupt, 17welthistorische Epochen, wie sie für die politische und andere Geschichte gelten, auch für die Rechts- geschichte anzunehmen, wonach denn die verschiedenen Principien, die das Ganze in ihrer Aufein- anderfolge darstellen, verschiedenen Völkern übertragen sind, die jedes das seinige auf eigenthümlich nationale Weise ausprägen; das heifst, um nicht die Wahrheit zu verletzen, es wird hier dieses, dort ein anderes Princip das vorherrschende, aber es wird nicht das ausschliefsende seyn,sondern sich überall, wenn auch in mangelhafterer Form, oder oft nur dunkel geahnet, das reine wahrhafte Prin- cip zugleich mitfinden. So erklärt es sich, wenn man bei verschiedenen Völkern verschiedener Zeiten und unter übrigens ganz ungleichen Voraussetzungen und Verhältnissen, Aehnlichkeiten in rechtli- cher Sitte und Ansicht begegnet, während sonst die Völker Individualität sich eigenthümlich und von andern abweichend gestaltet, und die Wissenschaft gerade diese Verschiedenheiten als nothwendige nachzuweisen hat. Uebrigens, wie gesagt, haben jene Vergleiche ihr Mifsliches. Welker a. a. O., vergl. mit seiner Universal - Encyclop. S. 332 fg., bezeichnet z. B. die erste Periode „der Kindheit"„Gesetze, Recht und Staat der Sinnlichkeit— Despotie."Die zweite „des Jünglingsalters"„Gesetze, Recht und Staat des Glaubens — Theokratie."Man könnte hier einwenden, dafs der Glaube selbst, das erste unmittelbare Vertrauen, etwas Kindliches und so der ersten Periode augehörig sei, und hierfür auf den theokratischen Charakter des mosaischen Rechts und das verweisen, was wir urkundlich über die älteste Geschichte des Menschengeschlechts haben; und wenn von einzelnen Völkern auch später die Rede seyn soll, sich auf die Nachrichten beziehen, die uns Tacitus von den alten Germanen gibt, wo die Strafen, so weit diese schon Statt finden, velut Deo imperante vollstreckt werden, wogegen von Despotie Nichts vorkommt. Im Gegentheile tritt diese an die Stelle des ersten patriarchalischen Prin- cips, wo der Glaube mit seiner Kindlichkeit verlorengegangen ist, obgleich das religiöse Princip dann noch bestehen bleibt, und wie bei den orientalischen Völkern auch noch jetziger Zeit unmittelbar in 18 VI. §. 9. die sich aber begreiflich wie- Seite 22 18der bei jedem Volke, so weit es überhaupt dieselben sämmtlich darstellt und nicht auf einer der frühern Stufen stehen und so das Werk für dasselbe unvollendet bleibt — eigenthümlich gestalten. Die erste unmittelbare Erscheinung der Strafe ist die von dem subjectiven Gefühle erlittenen Unrechts, das dem Urheber vergolten werden solle, ausge- hende Rache — eine Ahnung der Forderung des Rechts, dafs das Uurecht nicht bestehen dürfe, nicht unvergolten bleiben solle, dafs dem, durch welchen es entstanden, eine von ihm selbst als Norm für sein Verhalten aufgestellte Behandlung zu Theil werde, und das gestörte Gleichgewicht durch die Zufügung eines Uebels an dem Frevler seine Wiederher- stellung finde. 19 Aber als von dem blofs subjectiven Willen ausgehend ist diese Rache ein Unrecht, welches den Begriff der Strafe, in ihrem Eintreten und ihrer Ausführung, wie dem Mafse, der Zufälligkeit preisgibt. Der, gegen welchen so die Rache geübt wird, erkennt in derselben nicht das Recht, dem er sich beugt, sondern die Willkür, der er sich widersetzt. So entstehen Privatkrieg, Fehden, Familien- Rache, bis in dem Systeme der Beseitigung derselben, Composition der Bufse, des Wehrgeldes, bei dem übrigens noch vorherrschenden privatrechtlichen Charakter der Strafe und der Würdigung der Schuld, zuerst die Anerkennung des Thäters sich ausspricht, dafs er Unrecht gethan, und ein solches zu vergüten habe. Dieser erste Standpunct kann in zweifacher Hinsicht, als der des Strafrechts der Familie bezeichnet werden, weil nämlich zunächst nur Einzelne als Glieder der ihnen zur Seite stehenden Familie (später auch der Gemeinde) oder diese letztere selbst im- Seite 23 mer noch in subjectiver Richtung das Verbrechen gegen den Urheber, allenfalls seine Genossen verfolgen, wobei das Verbrechen nicht anders als im Sinne der Verletzung (Läsi- on) genommen wird, und weil, was eben damit zusammenhängt, dafs eine im öffentlichen Interesse das Verbrechen verfolgende Macht und Anstalt noch nicht wirksam ist, die Fa- milie innerhalb ihres Kreises, mittels der hausrichterlichen Gewalt, die widerrechtlichen Handlungen ihrer Glieder, die jener unterworfen sind, rügt. 20 VI. §. 9. 1. 2. Das Verbrechen in der bürgerlichen Gesellschaft, und die Strafe nachZwecken. Der nächste Fortschritt nun, den die Geschichte uns kennen lehrt, und welcher dem frü- her angedeuteten Momente, den verständigen Rücksichten entspricht, wo der Standpunct der Unmittelbarkeit und des Gefühls verlassen und zum Bewufstseyn übergegangen wird, dem weltlichen Principe mitenthalteu ist, so jedoch, dafs keines von beiden seinem Begriffe entspricht. Ueber ähnliche, doch von den Welker’schen wesentlich abweichende Unterscheidungen jener Stufen s. Mohl die Policei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechts - Staates. Th. I. S. 8 fg. 18vgl. mit der beachtenswerthen Anzeige dieses Werkes von Vollgraf in der Allg. Lit. Zeit. Altenb. 1833. Nro. 172. 19Meine Comm. de antiquiss. Rom. jure crim. §.20. 32. Meine Untersuchungen S. 123. 126 fg. S. 223 fg. 20Meine angef. Comment. §. 33 — 40. Untersuchungen. S. 206 fg. meine angef. Erörterungen S. 40 fg. 178 fg. 19 C. Erster Theil. wozu schon die in dem Abkaufen der Rache liegende Anerkennung des begangenen Un- rechts den Uebergang macht, ist der von der Rache zur Strafe, die sich nur allmälig als objectives, nicht mehr als die blofse Willkür und das erlittene Unrecht möglicherweise überschätzende Empfindung des Subjects äufsert. Bufse zur öffentlichen Genugthuung für den gestörten Frieden neben dem Wehrgelde, dann diese allein, so dafs die Privatge- nugthuung in den Hintergrund tritt, oder einem andern Gebiete anheimfällt, sind hier die geschichtlichen Formen. 21 Diesem Standpuncte der vonSeite 24 22der Gemeinde, Gesammtheit oder in deren Namen von dem Haupte zur Anwendung gebrachten Strafe, entspricht die bürgerliche Gesellschaft — das Gemeinwesen, und da- durch ist dann auch die Natur der hiernach s. g. bürgerlichen Strafe wesentlich verändert. Hier ist es, wo an die Stelle des früher noch unentwickelten einfachen Princips, einer ge- rechten Vergeltung der Uebelthat, sich die mannigfaltigen Rücksichten geltend machen, die der Verstand aus dem ihm vorliegenden Daseyn der Strafe hervorhebt, sie auf Zwecke bezieht, und dabei auf die nunmehr auch veränderte Beschaffenheit des Unrechts—jetzt nicht blofs Verletzung des Einzelnen, sondern Verbrechen, Störung der Ordnung, Ein- griff in die Sicherheit und den Frieden des Verbandes — Rücksicht nimmt. Wir werden dieses weiter unten philosophisch-historisch als den Standpunct der relativen Theorie, als einer in der Eigenschaft eines Ueberganges nothwendigen Erscheinung, aber die eben nicht die letzte ist, bei der die Ausbildung stehen bleibt, nachweisen. Dieser Uebergang ist aber schon gemacht, wenn von dem Strafrechte eines bestimmten Volkes, wenn von dessen Strafgesetzen die Rede ist. Hier, wo schon die übrigen sittlichen und rechtlichen Einrichtungen ihre Stelle haben, die früher Theils ganz fehlen, Theils noch nicht in das Bewufstseyn aufgenommen sind, und höchstens in einer ihrem Begriffe noch nicht ent- sprechenden Form existiren, als Ehe, veste Wohnsitze, bestimmte Beschäfftigung und daraus hervorgehende Stände, Unterwerfung unter eine öffentliche Obrigkeit und damit ein gemeinsames geselliges Band etc., liier beginnt für den Verstand ein reiches Gebiet sich zu eröffnen, die gemeinsamen und besondern Interessen aufzufassen, wiefern sie Gegenstand widerrechtlichen Angriffes seyn können undSeite 25 folglich Schutz bedürfen. Wir haben bereits erwähnt, dafs hier vorzugsweise die Stelle sei, wo die Strafe, die ihrem Begriffe nach, auf Vergangenes, das verübte Unrecht sich bezieht, die sich als Vergeltung ankündigt, nunmehr als Mittel zu einem andern Zwecke betrachtet wird, z. B. zu sichern, abzuschrecken, unschädlich zu mamachen, zu bessern, — alles dieses, und noch manches Andere in verschiedener Weise, je nachdem durch die Strafe, insbesondere durch deren Vollstreckung, oder was schon wieder einer weitern Ausbildung angehört, durch deren Androhung, durch das Daseyn des Gesetzes schon ein gewisser Zweck erreicht werden soll. Die meisten Gesetzbücher gehören diesem Stand- puncte an, wie ein grofser Theil selbst der neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen über Grund und Zweck des Strafrechts — jene, weil sie, oder die später erst aufgezeichne- ten Bestimmungen in eine Zeit fallen, wo sich der sittliche Staatsorganismus noch nicht gebildet hatte, sondern Gemeinwesen und bürgerliche Gesellschaft in einem Sinne, der 21Comm. §. 42. Untersuchungen S. 123 fg. 226 fg. Zu der daselbst angeführten Literatur ist jetzt ein sehr interessanter Aufsatz: SZernagorisch Rechtsgewohnheiten und Sitten"von A. v. Reutz nachzutragen, in den „Dorpater Jahrbüchern für 22Literatur, Statistik und Kunst besonders Rufslands. Bd. I. Heft 4 S. 293 fg. 20 VII. §. 10. besonders den Franzosen und den nordamericanischen Freistaaten mehr noch, als den Engländern geläufig ist, und über den die deutsche Staatssitte jetzt meist schon hinaus ist: — diese, weil sie noch immer die Gesellschaft und den Verein für den Staat nehmen, oder denselben damit verwechseln, wie denn hier meist von dem Vertrage, dem Principe des besondern Willens ausgegangen wird, als wenn dieser, der sich weder historisch noch philosophisch rechtfertigt, wirklich berechtigt wäre, die substantialen und wesentlichen Bestimmungen, die der. besondere Wille anzuerkennen und vor denen sich die Willkür zu beugen hat, erst zu schaffen; — man müfste folgerecht auch annehmen, die er ändern oder bei Seite setzen dürfte, wie es denn der Willkür, die den Vertrag eingeht, auch frei- gestellt seyn müfste, ihn nicht einzugehen. Man mag aber diese Annahme als historisch be- Seite 26 haupten, oder als Hypothese aufstellen, oder den Vertrag als unerläfslich fingiren — immer führt dieses zu Mifsverständnissen und falschen Folgerungen, wenn jene Vorder- sätze zu Grunde gelegt werden für die Entscheidung von Fragen, deren Lösung nothwen- dig einem höhern Gebiete anheimfällt, z. B. die Rechtmäfsigkeit der Strafe, die etwas Anderes ist, als deren Nützlichkeit und Zweckmäfsigkeit, und die, als an und für sich nothwendig , auch nicht erst mit Rücksicht auf jene Verstandeszwecke darzuthun ist, wie man bei den relativen Theorieen zu verfahren pflegt, indem man zuerst zu zeigen sucht, dafs die Strafe oder Drohung ein geeignetes Mittel sei, von Uebelthaten abzuhalten, ab- zuschrecken, zuvorzukommen etc. und dann erst die Frage bejahend beantwortet, dafs es ein Recht gebe überhaupt und durch dieses Mittel insbesondere für die Erreichung jener Zwecke zu wirken. Es ist aber einleuchtend und oft genug erinnert, dafs, in sofern hier namentlich Folgen der Strafe (mögliche und auch sehr wünschenswerthe) in Betracht kommen, diese selbst noch einer andern Grundlegung und Rechtfertigung bedürfe, und dafs man von jenen Folgen als Zwecken, zu denen die Strafe Mittel seyn soll, vielmehr auf den Grund der Sache gehen müsse — der dem richtigen Principe nach nicht einen andern Zweck anerkennt, sondern dieser selbst ist, und darin auch die Bestimmung des Maises in sich hat — nämlich die Gerechtigkeit. 23 VII. §. 10. 1. 3. Das sittliche Strafrecht und die Gerechtigkeit im Staate. Es ist damit der dritte Standpunct erreicht, der, welcher dem Principe des Staates und der Sitte ent- Seite 27 spricht. 24 Die Gerechtigkeit, die er selbst darstellen und verwirklichen soll — aber in höherem und umfassenderem Sinne, sie, die in ihm selbst und durch ihn herrschen soll, wird nunmehr Grund und Zweck solcher organischer Einrichtungen seyn, welche nicht nur, wie man es sonst vorzutragen pflegt, aus dem Rechte des Staats z. B. eben zur Ergreifung gewisser Mittel zum Zwecke hervorgehen, in dem Sinne von Befugnissen, von denen Gebrauch zu machen oder nicht, dem Beliehen anheimgestellt wäre, — sondern 23S. meine angef. Abh. in den Jahrb. der Jurist. Literatur. IX. S. 77 und XVII. S. 275 fg. und unten §. 11—22. 24Ueber die sittliche Bedeutung der Strafe und des Strafrechts s. meine Untersuchungen S. 6 fg. 21 C. Erster Theil. welche eben so sehr und nothwendig Pflicht sind,wie dieses überhaupt das Charakte- ristische dieses sittlichen Standpunctes ist, dafs die Rechte und Pflichten einander nicht als getrennte entsprechen, sondern verbunden und nothwendig eins sind.25 SoSeite 28 26mufs denn auch die Strafe hier — gleich der Handhabung des Rechts in andern Gebieten z. B. des Privatrechts, (woran man weniger zweifelt, und daher auch weni- ger prüft —) — zu ihrem Grunde die Gerechtigkeit haben; und deren Erreichung, so weit sie uns möglich ist, wird auch der einzige Zweck seyn dürfen, indem alles Andere, was man sonst hier anführt, Theils einem untergeordneten Gesichtspuncte angehört und nur auf der Grundlage der Gerechtigkeit sich geltend machen darf, Theils nur als Fol- ge, nicht selbstständig in Betracht kommt. Die Strafrechtstheorie, wenn man sich dieses Ausdruckes bedienen will, oder das Princip der Strafe ist also im Staate die der Gerech- tigkeit. Das Verbrechen, das Unrecht darf als solches, und eben weil es dieses ist, nicht bestehen, es mufs wieder aufgehoben werden, und zwar aus keinem andern Grunde und zu keinem andern Zwecke, als damit wieder das Recht, welches an sich heilig und un- verbrüchlich, im besondern Falle, in einer besondern Existenz gebrochen ist, wieder als unverletzliches herrsche. Die Strafe wird also lediglich im Dienste der Gerechtigkeit Statt finden, und diese wird auch die Norm für die Anwendung, die Voraussetzungen, die Art und das Mafs darbieten. Wenn aber das Verbrechen nicht abstract allgemein vorkommt, sondern als besonderes, als Verletzung des Rechts etc. in bestimmten Kategorieen der Qualität, Quantität, Modalität etc., so wird nothwendig auch die Strafe, soll sie eine gerechte seyn, diese Unterschiede anzuerkennen haben, und dafs dieses geschieht,Seite 29 dafs die That selbst, wie sie in dem Willen des Urhebers ihr Daseyn und ihren Grund hat, auch das Mafs der Beurtheilung gewähre, dafs die Strafe nur auf die Schuld des In- dividuums, nicht auf andere dieser nicht angehörige Rücksichten und Umstände bezogen werde, dieses ist der Fortschritt, der nur auf der jetzt betrachteten Stufe, und nur nach dem Principe der Gerechtigkeit möglich ist. Denn auf dem Standpuncte der relativen Theorieen, wenn man annehmen dürfte, dafs irgend eine derselben völlig folgerecht auch in der Anwendung durchgeführt würde, ist es unvermeidlich, dafs nach dem Verhältnis- 25Gewöhnlich nimmt man selbst, wenn man von Rechten wie das Strafrecht spricht, das Recht in dem untergeordneten Sinne einer Befugnifs. Dieser Ausdruck, der dem privatrechtlichen Standpuncte an- gehört, bezeichnet eine Berechtigung des Subjects, von welcher es, gegenüber einem Verpflichteten (jus et obligatio sunt correlata, wie man dieses ehedem erklärte) nach seiner Willkür Gebrauch ma- chen kann oder auch nicht. Dem Rechte des Staats zu strafen, würde, wenn er sich desselben bedienen wollte, eine Pflicht des Verbrechers entsprechen, sich strafen zu lassen. Diefs gibt aber, wenn es auch in gewisser Hinsicht richtig ist, doch einen schiefen Sinn; wie denn, wenn man solche einander entspre- chende, an Verschiedene vertheilte Rechte und Pflichten annehmen will, eben so sehr das Umgekehrte gilt, dafs der Staat verpflichtet ist zu strafen, wo man wieder ihm gegenüber als berechtigt, entweder den Verletzten denken konnte, der Anspruch darauf hat, dafs ihm durch Strafe des Schuldigen die ge- bührende Genugthuung werde, oder den Verbrecher, der die Strafe als sein Recht fordern kann (meine Untersuchungen S. 22 und 246) oder beide. (Welker a. a. 252 fg. 256 fg.) Der wahrhafte Standpunct ist aber, dafs hier Recht in einer andern Bedeutung genommen wird, wo die Willkür ohne Einflufs ist, und wo es sein Entsprechendes die Pflicht (officium nicht obligatio, wel- 26cher Ausdruck übrigens auch nicht den Sinn hat, den ihm die Neuern in dem angeführten Sprichworte beilegen) nicht an einem Andern, sondern an sich selbst hat. Gewifs würden viele Mifsverständnisse bei der Begründung der Strafe, und in der Ausführung mancher Lehren vermieden worden seyn, wenn man gleich den hier mit dem Rechte identischen Gesichtspunct der Pflicht vestgehalten hätte. S. mein Lehrbuch des Criminal - Processes. §. 26 fg. 22 VII. §. 10. se von Mittel und Zwecke ganz andere Momente, als die in dem Willen liegenden und durch die That in einem bestimmten Umfange äufsern Schadens bekundete Nichtach- tung des Gesetzes und Entgegensetzung gegen dasselbe — für die Ermessung der Gröfse der Strafe zu Grunde gelegt werden, und dafs, wie man unter Anderem aus den Regeln ersieht, welche für die Bestimmung der Gröfse der Strafbarkeit, bei nicht ganz bestimm- ten Strafgesetzen und für die Lehre der Schärfungs- und Milderungsgründe, so wie über Zurechnung etc. aufgestellt sind, — dafs hier die verschiedenen Theorieen oft zu ganz entgegengesetzten Resultaten führen, so fern nicht, wie es allein richtig ist, aber von jenen Theorieen in ihrer einseitigen Consequenz nicht zugegeben werden darf, die Ge- rechtigkeit als Grundlage angenommen und erst darnach jedes andere Princip, so weit es neben ihr berechtigt ist, seine erforderliche Berücksichtigung erhält. Was aber den ersten unmittelbaren Standpunct betrifft, so findet auf diesem, obgleich er auch von der Gerechtigkeit ausgeht, jene Forderung defshalb nicht ihre Befriedigung, weil, indem der Begriff des Verbrechens und der Strafe nur erst abstract allgemein gefafst, noch nicht in seine nothwendigen concreten Unterschiede zerlegt, und danach wieder zusammengefafst ist, fast lediglich die Seite des materialen Seite 30 Schadens, nicht die des Willens und der eigentlichen Schuld berücksichtigt wird, wo- gegen sich, nach manchen Uebergängen, die in dem geschichtlichen Rechte sich auf sehr mannigfaltige Weise aussprechen, das Extrem in der zweiten Periode hervorthut, fast ausschliefslich den Willen, die Absicht zu beachten. 27 Das dritte Moment Seite 31 hierzu ist nun wieder das ans dem Grundsatze der Gerechtigkeit folgende, jene bei- den frühern vereinigende, welches dem Rechte unserer Zeit — aber doch im Ganzen schon ziemlich lange angehört, die ganze Handlung in der Vereinigung ihrer innern und äufsern Seite ihrer nothwendigen Bestandtheile, nicht blofs die Absicht, nicht blofs die äufsere That und Erscheinung, sondern diese, weil und wie weit sie ihr Daseyn in dem 27Fast ausschliefslich, sage ich, weil es falsch ist, und durch die Quellen entschieden widerlegt wird, wenn Manche behaupten. dafs z. B. das ältere germanische Recht lediglich den Erfolg, den materialen Scha- den berücksichtige, das römische aber nur die Absicht ahnde. Es ist zwar erklärlich, dafs die erste Auffassung des Unrechts sich vorzugsweise auf dessen äufsere Erscheinung und den Erfolg beziehe, dafs die feinern schon einen hohem Bildungsgrad voraussetzenden Unterscheidungen des Verhältnis- ses des Willens zur That, hier noch nicht Statt finden, wie denn überhaupt, auf das Aeufserliche (That und Schaden am schätzbaren Gegenstande) ein gröfserer Werth gelegt wird. Aber das altere germanische Recht verkennt, unerachtet der vorherrschenden Rücksicht auf das Materiale, nicht den Grund des Schadens, und unterscheidet wenigstens im Allgemeinen eben so sehr culpa und dolus, als das römisch« Recht bei seiner Ansicht keineswegs den Unterschied zwischen Versuch und Vollendung bei Seite setzt, während beide zu entgegengesetzten Bestimmungen hätten kommen müssen, wenn dort nur die äufsere hier nur die innere Seite der Uebelthat gewürdigt worden wäre. Es ist bekannt, dafs die Stellen, die man hiefür aus dem Röm. Rechte anzuführen pflegt, z. B. L. 14 D. ad leg. Cornel. de sicar. „in maleficiis voluntas spectatur, non exitus"durch L. 18 D. de poenis „ cogitationis poen- am nemo patitur."L. 52 §. 2 D. de V. S. — „nec consilium habuisse noceat, nisi et factum secutum fuerit."L. 225 D. eod. „ non secundum propositionem solam sed cum aliquo actu etc."L. 16 §. 8 D. de poenis: „Eventus spectetur, ut a clementissimo quoque facta,ërstihre nähere Bestimmung erhalten und überhaupt, wenn man sie mit andern Stellen und dem Charakter des ganzen römischen Straf- rechts vergleicht, das nicht beweisen, wofür man sie angeführt hat. Zweitens möge hier nur erinnert werden, dafs daraus Nichts gegen unsere Ansicht folgt, wenn das Rom. Recht in gewissen Fällen, für die stets eigne, nicht auszudehnende Gesetze ergangen sind, den Versuch der Vollendung etc. gleichstellt, s. unten §. 25 fg. und dann dafs daraus, weil das Röm. 23 C. Erster Theil. verbrecherischen Willen hat, zu würdigen. 28 Wenn man nun die derSeite 32 29Handlung angemessene Reaction gegen den Urheber, die auf seine verübte Missethat, als etwas Vergangenes, bezogene Strafe, da sie gerecht ist, gegen ihn, als solche und in ihrer durch seine Handlung selbst bestimmten Gröfse und sonstigen Beschaffenheit, wenn man diese, sage ich, Vergeltung nennen will, so wird es nach dem Bisherigen, obgleich dieses mehr nur Andeutungen als Ausführungen enthält, nicht einer Verwahrung gegen die Mifsverständnisse, die gegründeten und grundlosen Einwendungen bedürfen, die man gewohnt ist, der Vergeltungstheorie entgegengestellt zu sehen, vornehmlich wenn man eine göttliche oder moralische Vergeltung als Grundlage, oder eine äufsere, und diese in der Form roher Talion, zugleich als Norm der Anwendung behauptet, was allerdings leicht zu widerlegen ist, sowohl hinsichtlich der Rechtmäfsigkeit, als auch der Ausführbarkeit.30 VIII. §. 11. Die Berechtigung der s. g. relativen Theorieen. Haben wir aber nun schon oben allgemein diesen dritten Standpunct als den einer ver- mittelten Einheit bezeichnet, welche die verschiedenen Momente, wie sie aus den bisher durchgegangenen Stufen sich ergaben, namentlich also als Grundlage die Gerechtigkeit, auf derselben aber auch die andern Rücksichten anerkannt, so ist nur dieses, was seine Bestätigung in dem Gange der Rechtsgeschichte findet, der Gegenstand unserer weitern Erörterung.Seite 33 rung. Zuvörderst ist hier, um den richtigen Standpunct vestzustellen, die Bemerkung vorauszuschicken, dafs die andern von der s. g. absoluten oder besser, von der Gerechtig- heitstheorie abweichenden s. g. relativen Strafrechtstheorieen hier nicht als selbstständig 28Recht die Strafe auf den Willen bezieht, nicht folgt, dafs bei der Beurtheilung der Handlung, nur jener, nicht diese auch, in ihrer Erscheinung wäre gewürdigt worden. Dafs die Strafe auf den Willen bezogen wird, ist entweder eine sich von selbst verstehende Bemerkung, die sich nicht auf das römische Recht beschränkt — und worauf sollte sie denn sonst bezogen werden? (Meine Untersuchungen S. 10 fg.) oder wenn es jenen Sinn haben soll, dafs nur der Wille, der sich in der Handlung aussprach, nicht auch diese selbst bei der Beurtheilung beachtet worden wäre, so ist es falsch. 26) Dem einheimischen Rechte, wie es durch die P. G. O. nur genauer eingeschärft worden ist, ist das Verdienst zuzuschreiben, die Einseitigkeiten der einen und andern erwähnten Ansicht vermieden und die Handlung nach ihren beiden wesentlichen und untrennbaren Seiten, der innern und äufsern zusammengefafst und gewürdigt zu haben. Nicht das Innere allein bestimmt die Handlung, denn diese hat ihr Daseyn nothwendig auch in der Erscheinung in der Sinnenwelt, nicht das Aeufsere allein, denn die Erscheinung ist nur so weit der Handlung angehörig, als sie in dem Wissen und Wollen gegründet ist; sondern wie oft genug gegen die mindestens ungenaue Bezeichnung der s. g. innern und der s. g. äufsern Handlungen erinnert worden ist, erst die Verbindung beider macht die Handlung aus, welche diese beiden wesentlichen Bestandtheile oder Momente hat, deren keines allein eine Handlung ist. Dem deutschrechtlichen Principe, das folgerecht durchgeführt ist (§.30 fg.) sind aber zum Theile das Kanon. R. und selbst das römische vorausgegangen; letzteres, in sofern die Eigenthümlichkeit, von der in der vorhergehenden Note die Rede war, nicht bei allen, sondern nur bei bestimmten Verbrechern zu Folge einer besondern Lex eintrat. S. z. B. L. 6 D. de lege Pompeja de parricidiis. L. 9 §. 1 D. de lege Cornel. de falsis. 29L. 1 §. 13 D. ad SC. Turpillian. L. 1 pr. L. 7 D. ad legem Cornel. de sicariis. Vergl. mit der spatern Ausführung §. 24 fg. 30S. meine angef. Abh. in den Jahrbüchern der jurist. Literatur. XVII. S. 19. Vergl. überhaupt H. Richter das philos. Strafrecht begründet anf die Ideeen der Gerechtigkeit, und meine Beurtheilung desselben in den Jahrb. für wissenschaftliche Kritik. 1830. N. 111. S. 881 fg. 24 VIII. §. 11. Die Berechtigung der s. g. relativen Theorieen. neben jener auftreten, dafs also nicht etwa eine äufsere Zusammenstellung oder Ver- bindung mehrerer, mit ihren angeblichen Zwecken und ihren möglichen Folgen gemeint sei, nicht ein synkretistisches oder ein eklecktisches Verfahren, nicht eine s. g. gemisch- te Theorie. Sondern indem jene andere Theorieen nur mit dem Gerechtigkeitsprincipe vereinbare Rücksichten darbieten, so kommen sie als nothwendige Momente mit vor, die sich im Begriffe der Strafe und in ihrer Erscheinung finden und die sich aus derselben ableiten lassen; aber sie haben als Momente keineswegs die Eigenschaft von Principien, von Gründen und Anfängen, und behaupten daher nirgends, weder in der Anwendung, in der Gesetzgebung, noch der Wissenschaft einen unabhängigen Anspruch auf Geltung und Durchführung. Als nothwendige Momente aber können sie auch wiederum nicht verleugnet werden; sie fordern unerläfslich Berücksichtigung, und dieses übersehen zu haben, ist ein Fehler, der den meisten Vertheidigern der s. g. absoluten Theorie zur Last fällt, deren Namen oft schon allein hinreicht, um manche erfahrene Praktiker gegen die- selbe einzunehmen. Ohne Zweifel liegt nämlich hierin der Grund der, um hier anderer Gegner nicht zu gedenken, die mit den Bedürfnissen der Gesellschaft vertrauten Ge- schäfftsmänner einer Theorie, welche sonst die ansprechen müfste, die sich dem Berufe der Gerechtigkeitspflege widmen und sich danach nennen — abgeneigt machte, welche jenen verabweislichen Forderungen nicht genügte, sie vielmehr unbeachtet liefs, und für welche sie in dem positiven Rechte keine Bestätigung zu finden schienen, während ohne Mühe für das System der Sicherung, Seite 34 Abschreckung etc. das dem praktischen, auf das Nützliche gerichteten Verstande so sehr einleuchtet, Unterstützungen in den Quellen gefunden werden.31 Seite 35 31Man hat der von Welker mit so viel Gründlichkeit ausgeführten Theorie mit Unrecht den Vorwurf gemacht, dafs sie eine äufsere Zusammensetzung verschiedener, zum Theile heterogener Theorieen und Zwecke sei. Trummer in der Note 34 angef. Abh. §. 66. S. 153 fg., wogegen er sich nicht nur später vertheidigt hat, S. universal - Encyklopädie Vorrede S. XXX11I und 572, sondernauch durch seine frühere Ausführung hinlänglich hätte geschützt erscheinen sollen. Aber einigermafsen hat er den Vorwurf veranlagt, indem er z. B. S. 265, wo er von den sieben Strafzwecken spricht, der Theorie überhaupt die Richtung auf Zweck und Folgen beilegt, während sie sich zunächst nur auf den Grund bezieht, dieser aber wahrhaft nur einer ist. Wenn aber meine Darstellung in ihrem Ergebnisse, mit jener in sofern zusammenstimmt, als von den verschiedenen s. g. Strafrechtszwecken etc. jedem seine Stelle angewiesen, sein Recht zuerkannt wird, so wird doch Theils meine Theorie eben so wenig mit der von Welker verwechselt werden, da nicht allein die Resultate hier in Betracht zu ziehen sind, sondern auch die Art und Methode ihrer Begründung, als sie zu den gemischten oder zusammengesetzten Theorieen gehört. Letztere als ein äufserliches Aggregat mehrerer Rücksichten, Zwecke, Folgen etc. ist überhaupt nichts Wissenschaftliches. Soll einmal ein Name gewählt werden, so will ich mich, da ich gegen jede relative Theorie in dem herkömmlichen Sinne, der auch in dieser Untersuchung beibehalten ist, protestire, zu der absoluten Theorie bekennen,
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