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Der Spiegel 2018 04

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Nr. 4 / 20.1.2018
Kindesmissbrauch im Breisgau
Hintergründe eines 
fürchterlichen Verbrechens
Suizide auf Bahngleisen
Wie ein Lokführer damit lebt, dass sich 
vier Menschen vor seinen Zug warfen
Medizin
Neue Hoffnung im
Kampf gegen Alzheimer
Deutschland €5,10
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Kraftstoffverbrauch in l/100 km: kombiniert zwischen 5,2 und 4,9, CO₂-Emissionen in g/km: kombiniert zwischen 118 und 112, Effizienzklassen: 
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Intensiverleben
Auf der Internationalen Grünen Woche inBerlin feiert die wohl einflussreichste
Lobby organisation der Republik noch bis Ende
kommender Woche wieder ihr alljährliches
Hochamt: der Deutsche Bauernverband. Das
Geheimnis seiner Stärke liegt in einem einzig-
artigen Netz, das er sich geknüpft hat – mit Funk-
tionären in Politik, Forschung und Industrie.
 Michaela Schießl und Antonia Schaefer beschrei-
ben in ihrem Report ein sich selbst kontrol -
lierendes System, das die Agrarwende hin zu einer umweltschonenderen
 Landwirtschaft verhindert. Die Pressestelle des Verbands reagierte nicht auf
Anfragen der Journalistinnen, und die meisten Gesprächspartner wollten sich 
nur anonym zitieren lassen; aus Angst vor Ausgrenzung und Ächtung. „Noch
steht das Bollwerk, doch am Fundament beginnt es zu bröckeln“, sagt Schießl.
Denn mehr und mehr Bauern werde klar, dass sie mit Massen produktion keine
Zukunft haben. Seite 64
Manche Menschen haben ein seltsamesHobby, sie investieren Zeit und Geld,
um Kennerschaft auf einem Gebiet zu er-
langen, das sonst kaum jemanden interes-
siert. Warum? Hauke Goos, der sich seit
seiner Kindheit für Schiffe begeistert,
nahm Kontakt zu drei Shipspottern auf,
die im Rotterdamer Hafen Tanker und Fäh-
ren fotografieren. So lernte er Stephan
Kniest kennen, einen Lokführer aus Nord-
rhein-Westfalen, dessen Bilderarchiv meh-
rere Terabyte Speicherplatz füllt – und der in elf Jahren vier Menschen totge-
fahren hat, die sich zum Selbstmord auf den Schienen entschieden hatten. Goos
beschloss, Kniests Geschichte aufzuschreiben. Durch die Suizide traumatisiert,
kämpft der Lokführer darum, dass der Todeswunsch anderer Leute nicht sein
eigenes Leben zerstört: Wenn er mit seinen Freunden zu den Schiffen reist,
lenkt ihn das von den „Personenschäden“ ab, wie die Selbsttötungen beim
 Zugpersonal heißen. Goos sagt: „Bemerkenswert ist, dass Lokführer nach wie
vor sein Traumjob ist.“ Seite 52
Als Luisa Hommerich vergangenes Jahr an der Uni-versität in Teheran studierte, entdeckte sie am
Schwarzen Brett ihrer Fakultät die Einladung zu einer
Reise mit Mitgliedern der Basidsch, jener Miliz, die
auch bei den aktuellen Protesten in Iran wieder auf
Demonstranten einprügelt. Obwohl sie Deutsche ist,
erhielt Hommerich die Erlaubnis, an jener Fahrt teilzu-
nehmen, die 300 junge Frauen auf die Ziele der Para-
militärs einschwören sollte. „Die Organisatoren zeigen
Ausländern gern das ihrer Meinung nach richtige Iran“,
erklärt Hommerich, die ihre Erlebnisse nun schildert.
Im Ganzkörperschleier saß sie am Lagerfeuer, Soldaten beschossen sie mit Platz -
patronen, sie lief vor echten Bomben in Deckung. Hommerich beobachtete, wie
tief die Strukturen des Regimes in der Gesellschaft verankert sind. „Im Westen
denkt man oft, das Regime stürze bald, wenn viele Menschen auf die Straße
 gehen. So einfach ist das nicht“, sagt sie. Ihre Reportage lesen Sie ab Seite 80
5DER SPIEGEL 4 / 2018
Betr.: Landwirtschaft, Lokführer, Iran
Das deutsche Nachrichten-Magazin
Hausmitteilung
Das deutsche Nachrichten-Magazin
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Goos, Kniest (2.v. l.) mit Freunden
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Hommerich (r.) in Iran 
SPIEGEL-Gespräche
 live im Bucerius
 Kunst Forum
Mittwoch, 31. Januar 2018, 20 Uhr
 Bucerius Kunst Forum, 
 Rathausmarkt 2, 20095 Hamburg
 Tickets sind im Bucerius Kunst Forum und in allen 
 bekannten Vorverkaufsstellen erhältlich. 
 Die Eintrittskarte (10 Euro/8 Euro) berechtigt 
 am Veranstaltungstag zum Besuch der 
 Ausstellung „Karl Schmidt-Rottluff: 
 expressiv | magisch | fremd“
 (27. Januar bis 21. Mai 2018).
 Die Ausstellung ist am Veranstaltungsabend von 
 19 bis 19.45 Uhr exklusiv für Veranstaltungsgäste 
 geöffnet. Änderungen vorbehalten.
BUCERIUS
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FORUM
 Trümmer, Hunger, Flucht und Besatzer – viele 
 Menschen erlebten die Jahre nach 1945 als
 existenzielle Krise, die sogar die Erinnerung an
 den Krieg überschattet. Was bedeutet das für
 den Umgang mit der Nachkriegsgeschichte?
 Darüber diskutiert der Hamburger Historiker
 Prof. Dr. Axel Schildt mit dem SPIEGEL-
 Redakteur Uwe Klußmann.
Prof. Dr. Axel Schildt
Deutschland
 nach dem Krieg 
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6 Titelbild: Illustration: Miriam Migliazzi & Mart Klein für den SPIEGEL
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Steuern per Roboter 
Autoindustrie Gibt es bald nur noch
 Fahrzeuge ohne Lenkrad und Pedale?
BMW, Daimler und VW konkurrieren mit 
IT-Konzernen aus den USA darum, wer 
als Erster massenhaft Roboterautos auf die
Straße bringt. Es ist eine milliardenschwere
 Wette – mit unsicherem Ausgang. Seite 70
Demenz, neu gedacht
Medizin Tausende Alzheimerforscher
 suchen seit Jahrzehnten nach Mitteln gegen
das große Vergessen. Vergebens. Aber 
sie wissen jetzt sehr viel: dass die Krankheit
früher beginnt als gedacht; wie stark das
 Immunsystem beteiligt ist. Schon entstehen
Ideen – für neue Wirkstoffe. Seite 102
Täter ohne Schuld
Schicksale Es passiert im Durchschnitt
800-mal im Jahr: Menschen, die sich das
Leben nehmen wollen, werfen sich vor 
einen Zug. Lokführer fühlen sich dadurch
als Täter, sind aber in Wahrheit Opfer.Stephan Kniest ist das schon viermal pas-
siert. Wie hält ein Mensch das aus? Seite 52
Pakt der Verlierer
Bündnisse Die Rekonstruktion der
Sondierungen für eine schwarz-
rote Koalition zeigt, wie sehr die
Macht der Chefs schon erodiert 
ist. Angela Merkel, Horst Seehofer
und Martin Schulz hatten alle
Mühe, ihre Leute auf Linie zu hal-
ten. In den Parteien wird hinter
den Kulissen schon über einen
Machtwechsel diskutiert. Seite 30
In diesem Heft
7DER SPIEGEL 4 / 2018
Titel
Parteien Der anhaltende Niedergang der 
politischen Linken in Deutschland 14
SPD Parteichef Martin Schulz verteidigt 
den Sondierungsvertrag mit der Union 20
Nostalgie Das seltsame Gedenkritual 
am Grab von Liebknecht und Luxemburg 22
Karrieren Wie Robert Habeck die Grünen 
als künftiger Parteichef dominieren will 24
Deutschland
Leitartikel Merkels grimmige 
Flüchtlingspolitik 8
Meinung Der schwarze Kanal / So gesehen:
Wahre Liebe 10
Deutschland für neue Iran-Sanktionen / Zu
 wenig Personal für Abschiebungen / Polen 
jagt per Interpol deutsche NS-Verbrecher 26
Bündnisse Die schwierigen Sondierungen
 zwischen Union und SPD zeigen 
den Machtverlust der Parteichefs 30
Außenpolitik Berlin und Ankara planen einen
Panzerdeal zur Freilassung des inhaftierten
„Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel 34
Migranten Italienische Staatsanwälte werfen
deutschen Flüchtlingsrettern vor, im Mittelmeer
das Geschäft der Schlepper zu unterstützen 36
Geheimdienste Der Experte Ronen Bergman 
im SPIEGEL-Gespräch über die 
Morde des Mossad – und dessen 3000 Opfer 40
Wie der Mossad einen deutschen
 Geschäftsmann entführte, verhörte und 
dann umbrachte 42
Terrorismus Frauen beim IS – eine
 unterschätzte Gefahr? 45
Verbrechen Fatale Fehler – warum der Junge 
aus dem Breisgau so lange ohne Schutz blieb 46
Gesellschaft
Früher war alles schlechter: Sieg über 
die Pest / Das Comeback der 
Zimmerpflanze bei Jugendlichen 50
Eine Meldung und ihre Geschichte Ein 
deutscher Beamter investiert Steuergelder, 
um die Polizei mit fair gehandelten
 Computermäusen zu versorgen 51
Schicksale Wie ein Lokführer damit 
lebt, dass sich schon vier Menschen vor 
seinen Zug warfen 52
Homestory Warum unsere Kinder den Wert 
einer Armbanduhr nicht mehr erkennen 57
Wirtschaft
Neues Design für Lufthansa / Soli nur für Reiche
könnte gegen Grundgesetz verstoßen / Wirt-
schaftsministerium erwartet 500000 neue Jobs 58
Digitalisierung Das Internet der Dinge 
ver ändert Unternehmen von Grund auf –
noch allerdings fehlt ein einheitlicher 
Standard für Transaktionen 60
Landwirtschaft Der Deutsche Bauernverband
ist eng mit Politik und Wirtschaft verdrahtet,
aber die Allianz bekommt Risse 64
Verkehr Ein neues Gutachten setzt die 
Dieselhersteller unter Druck 67
Internet Wie EU-Verbraucherschutz -
kommissarin Věra Jourová Hass im Netz
 bekämpfen will 68
Autoindustrie VW, Daimler und BMW ringen
mit globalen IT-Konzernen darum, wer beim 
autonomen Fahren die Nase vorn haben wird 70
Wohnen Bundesbauministerin Barbara
 Hendricks sieht in der Reform der 
Grund steuer die Chance, mehr bezahlbaren
Wohnraum zu schaffen 73
Ausland
Die leeren Drohungen des Palästinenser -
 präsidenten Mahmoud Abbas / 
Warum die Verleihung eines Fake-News-
Awards eine inhaltliche Logik hat 74
Diplomatie Selbstbewusst und angst-
frei – die Außenpolitik des französischen
 Präsidenten Emmanuel Macron 76
Iran Unterwegs mit Studentinnen der 
Basidsch-Milizen, die auch an der
 Niederschlagung der jüngsten Proteste
 beteiligt sind 80
USA Die Kindesmisshandlungen in 
Südkalifornien entfachen eine 
neue Debatte über Heim unterricht 84
Großbritannien Der endlose Kampf 
der konservativen Tories mit Europa 86
Sport
Wie Bayern München die Bundesliga
 dominiert / Magische Momente: 
Was Ski springer Stefan Kraft bei seinem 
Weltrekord durch den Kopf ging 89
Ski Junge Leute verlieren die Lust am
 Wintersport 90
Football Leaks Tut Messi mit seinen Stiftungen
Gutes, oder hilft er nur sich selbst? 94
Wissenschaft
Nähe zu spüren lässt sich lernen / Obergrenze
für Neutronensterne / Kommentar: 
Die vermeidbare Katastrophe – Lehren 
aus „Friederike“ 100
Medizin Forscher beginnen, Alzheimer 
besser zu verstehen – nun sind sie neuen
 Wirkstoffen auf der Spur 102
Luftfahrt Eine US-Firma entwickelt ein 
Überschallflugzeug, das Passagiere 
in drei Stunden von London nach New 
York bringen soll 105
Biomechanik Warum Ratten nicht 
stolpern – Jenaer Zoologen röntgen 
Tiere beim Laufen 106
Ethik Der Kinderchirurg Allan Goldstein 
trennte siamesische Zwillinge, 
obwohl ihm klar war, dass eines der 
Mädchen dadurch sterben wird 108
Kultur
Ehrung für die „Guerrilla Girls“ / Die 
Fälle Bruce Weber und Mario Testino / 
Kolumne: Besser weiß ich es nicht 110
Europa SPIEGEL-Gespräch mit dem
 bulgarischen Politologen Ivan 
Krastev über die Dif ferenzen zwischen 
Ost- und Westeuropa 112
Übergriffe Debatte um das Münchner 
Haus der Kunst 119
Kino Das wechselhafte Geschick des Matt
 Damon, nun in „Downsizing“ zu sehen 120
Filmkritik Der bitterböse Oscarfavorit „Three
Billboards Outside Ebbing, Missouri“ 123
Bestseller 122
Impressum, Leserservice 124
Nachrufe 125
Personalien 126
Briefe 128
Hohlspiegel/Rückspiegel 130
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Ronen Bergman
Er kennt Israels Geheimdienst
wie kaum ein anderer und
sagt, der Mossad habe rund
3000 Menschen getötet. 
Der Experte kritisiert dessen
Aktionen – die auch einen
deutschen Geschäftsmann das
Leben kosteten. Seite 40
Věra Jourová 
Sie redet mit den Internet -
größen im Silicon Valley und
den Chefs deutscher Auto -
mobilkonzerne. Das Ziel der
tschechischen EU-Kommissa-
rin ist dabei immer, mehr
Rechte für die Verbraucher
zu erkämpfen. Seite 68
Matt Damon
Er durfte sich Hoffnung auf
einen Oscar machen für 
die Rolle in seinem aktuellen
Film „Downsizing“. Nun
wird der Hollywoodstar wegen
seiner Äußerungen in der
#MeToo-Debatte heftig atta-
ckiert – zu Unrecht? Seite 120Wegweiser für Informanten: www.spiegel.de/investigativ
Es geht nicht mehr um Menschen, es geht um eineZahl. Es geht um die Zahl der Flüchtlinge, die nachDeutschland kommen, nicht um die Flüchtlinge. Die
jüngste Zahl heißt 223000. Das sind die Asylanträge, die
im vergangenen Jahr gestellt wurden. 2016 waren es
746000. Der Bundeskanzlerin passt die neue Zahl. Sie
liegt nahe bei 220000, also der Obergrenze, die es in das
Sondierungspapier von Union und SPD geschafft hat.
Diese Zahl ist Ausdruck einer Politik, die nie deutlich
angekündigt, nie erklärt wurde. Sie ist Ausdruck einer
scharfen Kurve in der Flüchtlingspolitik, von den offenen
Grenzen zur harschen Abwehr. Im Spätsommer 2015 ver-
kündete Angela Merkel, wenn Deutschland in einer Not-
situation nicht „ein freund -
liches Gesicht“ zeigen könne,
„dann ist das nicht mein
Land“. Sie hielt die Grenzen
offen für Flüchtlinge, und der
liberale Teil der Welt war be-
geistert von diesem humani-
tären Politikansatz.
Nun zeigt Deutschland ein
grimmiges Gesicht, und die
Bundeskanzlerin hat kein
Land mehr. Das stört sie je-
doch nicht. Sie sieht das alles
inzwischen ohnehin ganz
 anders.
Merkel hat 2016 für die EU
einen Deal mit der Türkei
eingefädelt, der die Flucht -
route über die Ägäis weit -
gehend schließt. Sie hat sich
von der CSU eine Obergren-
ze abhandeln lassen, die aber
nicht so genannt werden darf.
Künftig soll es auch für den
Familiennachzug eines großen Teils der Schutzberech -
tigten eine Obergrenze geben, 1000 pro Monat. Das ist zu
wenig.
Ausgerechnet der Familiennachzug wird begrenzt, von
den Oberfamilienparteien CDU und CSU, obwohl allen
klar sein muss, dass Männerdie besten Chancen auf eine
Integration haben, wenn sie hier mit ihren Familien zu-
sammenleben. Aber das ist jetzt egal. Hauptsache, die
Zahl liegt niedrig. Und die Spitze der SPD macht klaglos
mit, auch das ist eine Enttäuschung.
Natürlich kann Deutschland nicht Jahr für Jahr 750000
Asylsuchende aufnehmen, ohne die Gesellschaft zu über-
fordern. Aber warum legt die CSU die Obergrenze fest?
Warum hat sich die Bundeskanzlerin auch in dieser Frage
für eine Politik der Stille entschieden? Sie war schon Kli-
makanzlerin und hat sich dann klammheimlich von einer
entschiedenen Klimapolitik verabschiedet, weil das nicht
mehr in ihr Machtkalkül passte.
Das ist ihr Stil, und er ist schon lange eine Zumutung,
da sich die liberale Demokratie vor allem dadurch aus-
zeichnet, dass miteinander geredet wird. Diesmal ist es
nicht nur eine Zumutung, sondern eine schwere Missach-
tung vieler Bürger.
Nicht nur Politiker haben die Flüchtlingspolitik des
 Jahres 2015 getragen. Das waren auch viele, viele Bürger.
Sie haben dem Staat, der nicht gut vorbereitet war, ge -
holfen, haben Flüchtlinge willkommen geheißen, unter-
stützt, bei sich zu Hause aufgenommen. Sie waren Ak-
teure der Politik, und viele sind es immer noch, weil sie
dabei helfen, Flüchtlinge in diese Gesellschaft zu integrie-
ren. Sie sind die Deutschen mit dem freundlichen Gesicht.
Diese Bürger müssen nun
sehen, dass Merkel aus Angst
um ihre Macht Politik für die
anderen macht, für die Grim-
migen, für potenzielle Wäh-
ler der AfD, für die Freunde
der ganz kleinen Zahl. 
An deren Land baut Mer-
kel gerade mit, für deren
Sicht auf die Lage macht sie
Politik. Natürlich gab und
gibt es enorme Probleme mit
Flüchtlingen. Aber es gibt
auch eine hysterische Sicht
darauf, die wenig mit der
Realität zu tun hat. Silvester
2015/16 in Köln war fürch -
terlich, doch die Jahre da-
nach haben bewiesen, dass
man solche Probleme in den
Griff bekommen kann. Jede
Vergewaltigung ist eine zu
viel, aber Recherchen des
 SPIEGEL (Heft 2/2018) haben
gezeigt, dass interessierte Kreise dazu falsch informieren,
um Flüchtlinge zu diffamieren. 
Gerade der liberale Teil der Gesellschaft erwartet ein
offenes Gespräch. Merkel hätte längst eine Rede halten
müssen, zwei, drei Stunden lang, in der sie ihren Schwenk
erklärt. Vielleicht hätte mancher Bürger ihre Argumente
verstanden und wäre ihr gefolgt. Andere hätten immerhin
sagen können: Die Kanzlerin nimmt uns ernst. Und
 vielleicht hätte die Debatte nach der Rede eine andere
Zahl ergeben. Jetzt fühlt man sich geradezu beleidigt von
diesem albernen Tanz um das Wort Obergrenze. Kinder-
garten.
Ein wichtiges Gespräch zu verweigern – das ist nicht
 liberale Demokratie, das ist Königtum. Was interessiert
mich mein Geschwätz von gestern – in dieser Floskel
steckt eine herrische Attitüde, steckt die Arroganz der
Macht. Das kommt fast zwangsläufig, wenn Leute zu lange
im Amt sind. Dirk Kurbjuweit
8 DER SPIEGEL 4 / 2018
Die Kanzlerin der Grimmigen
Mit ihrer Flüchtlingspolitik nimmt Angela Merkel den liberalen Teil der Gesellschaft nicht ernst.
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10 DER SPIEGEL 4 / 2018
Meinung
Wahre Liebe
So gesehen Was wir nie
über deutsche Altkanzler
wissen wollten 
Es war eine Woche der ganz
großen Gefühle, kanzler -
technisch. Während die am-
tierende Kanzlerin um ihr
politisches Überleben bang-
te, flatterten aus dem
 Universum der Altkanzler
zwei Zeitschriftentitel auf
den Schreibtisch. Auf dem
ersten Maike Kohl-Richter
ganz in Schwarz, im Heft
eine Fotostrecke der Witwe
im Haus in Oggersheim, 
das sie offenbar in eine per-
sönliche Helmut-Kohl-
 Gedenkstätte verwandelt
hat: gigantische Porträts 
auf Fotos und in Öl, von sei-
nem Schreibtisch im Sou -
terrain ist die Rede, von sei-
nen Trophäen. Sie lässt 
sein Grab per Videokamera
überwachen. Sie hat sich 
im Haus eingemauert wie in
 einer Gruft, als wollte sie
sich selbst lebendig begra-
ben. Warum sie nach Kohls
Tod Sohn und Enkeln 
nicht die Tür geöffnet habe?
Aus „Angst um die Stille“. 
Auf dem zweiten Cover
das Gegenprogramm: die
Turtelbilder des letzten Alt-
kanzlers mit seiner neuen
koreanischen Lebensgefähr-
tin in einem Park in Seoul –
„Wird sie seine 5.Ehefrau?“ 
– und den intimen Details
seines neuen Glücks – „In
Marburg lernte sie, wie man
Brat kartoffeln zubereitet“. 
Die gute Nachricht: Der
deutsche Altkanzler ist 
eine begehrte Spezies. „Ja,
es ist Liebe!“ Die schlechte:
zweimal Gefühle für die
 Kamera, zweimal zudring -
liche Bilder, viel zu nah
dran, zweimal der Kampf
um Image und Deutung,
zweimal Fremdschämen.
Geht das wirklich nicht an-
ders? Frau Merkel, wenn 
Sie Altkanzlerin sind, ver-
schonen Sie uns! 
Christiane Hoffmann
Kittihawk
Jan Fleischhauer Der schwarze Kanal
Großer Wurf, große Kosten
Ich bin vor zwei Wochen
nach Südafrika geflo-
gen, um in Ruhe den
weiteren Verlauf 
der Regierungsbil-
dung in Deutschland
abzuwarten. Wenn
sich die Politik eine
Auszeit gönnt, kann ich
das auch, dachte ich. Aber der deutschen
Misere entgeht man nicht so schnell. 
Es fehle die Idee, der große Wurf, las ich
nach dem Ende der Sondierungsgespräche.
Alles, was den Unterhändlern eingefallen
sei, bleibe im Klein-Klein. Vielleicht sollte
ich nicht so bald nach Deutschland zurück-
kehren. Wer will schon in einem Land
 leben, in dem das Klein-Klein regiert?
Die Wahrheit ist: Die meisten Menschen
haben damit weniger Probleme, als Jour -
nalisten sich das vorstellen können. Die
zündende Idee, die packende Vision, alles
gut und schön: Aber wer morgens zwei
Kinder für die Kita fertig machen muss, be-
vor er zur Arbeit geht, ist heilfroh, wenn
ihn nicht noch die Politik mit irgendwel-
chen Vorschlägen behelligt.
Ich habe noch nie jemanden außerhalb
des Journalismus sagen hören, er vermisse
den großen Wurf. Die Mehrheit der Leute
ist schon froh, wenn die Regierung einiger-maßen mit dem Geld auskommt, das sie
bei den von ihnen Regierten einsammelt.
Man weiß ja, wie es bei großen Vorhaben
läuft. Sie werden meist deutlich teurer, als
es am Anfang heißt. Wenn Politiker das
Geld mitbringen würden, das sie für ihre
Ideen einplanen, wäre es etwas anderes.
Aber da sie die Rechnung, ohne mit der
Wimper zu zucken, an die Wähler weiter-
reichen, ist jeder gewarnt, der das Spiel ein
paarmal mitgemacht hat.
Es heißt, die Große Koalition sei im Sep-
tember abgewählt worden. Aber auch 
das scheint mir nicht ganz richtig. Sie hat
ein paar Prozente eingebüßt, weil sich
 genug Leute fanden, die der Meinung wa-
ren, dass es wieder eine richtige Opposi -
tion im Bundestag geben sollte. Die hat 
ja vorher gefehlt. Aber auch jetzt verfügt
die Große Koalition noch über eine
 Mehrheit. Ich glaube, wenn man Koalitio-
nen wählen könnte, wäre eine Regierung
aus Union und SPD genau das, was raus-
kommen würde. In Wahrheit ist die sozial-
demokratische Weltsicht in Deutschland
mit Abstand am populärsten. Daran 
hat sich jeder kluge Kanzler gehalten, 
egal von welcher Partei.
Die Jusos sagen jetzt, es brauche mehr
politische Auseinandersetzung. Man müsse
links und rechts wieder klar unterscheiden
können. Damit haben sie nicht unrecht. 
Es wird nur wahnsinnig schwer, für mehr
 Unterschiede zu sorgen, solange Angela
Merkel zur Wahl steht. Was sollen sie bei
der SPD denn fordern? An die Bürger -
versicherung glauben sie nicht mal im Willy-
Brandt-Haus. Das Einzige, was Union 
und SPD noch unterscheidet, ist die
 Forderung nach höheren Steuern für die
Reichen. Aber da ist die letzte Messe nicht
gesungen, sagt mir mein Gefühl. Wenn 
die SPD stur bleibt, ist bei dem Punkt 
alles drin.
An dieser Stelle schreiben Jakob Augstein, 
Jan Fleischhauer und Markus Feldenkirchen im Wechsel.
Keiner entscheidet sich gern 
dafür in einer Warteschlange 
stillzustehen. Besonders, 
wenn man krank ist. Deswe-
gen braucht es Fortschritt in 
der Gesundheitsversorgung. 
Echte Alternativen, die uns 
selbst entscheiden lassen, 
wie wir warten. Und bei 
manchem sogar, ob wir es 
überhaupt tun. Es braucht die 
Möglichkeit, jede Minute zu 
nutzen, damit es uns besser 
geht. Es braucht Apotheken 
mit dem Anspruch, dass 
Selbstbestimmung und Un-
abhängigkeit das Wichtigste 
sind. Für jeden Patienten.
Ob offline oder online. Ob ab-
holen oder liefern lassen. Ob 
Warteschlange oder nicht. Es 
gibt kein Richtig oder Falsch. 
Denn das kann jeder Mensch 
für sich selbst entscheiden.
Doch wir haben noch 
mehr vor:
Bessere Behandlung für 
Patienten. 
Durch transparentes Handeln 
können wir den Wissensaus-
tausch zwischen Patient, Arzt, 
Apotheke und Krankenkasse 
verbessern. Und die bestmög-
liche Versorgung für den 
Patienten schaffen.
Individualisierung für 
Patienten. 
Wenn es um individuelle 
Therapie geht, muss die 
Wirksamkeit immer im 
Fokus bleiben. Dabei helfen 
die Digitalisierung und 
technischer Fortschritt und 
ermöglichen in Zukunft ein-
fachere Gesundheitsvorsorge.
Nähe zu Patienten. 
Die Digitalisierung macht uns 
erreichbarer und vernetzter. 
Nicht nur privat oder beruflich, 
sondern auch in der Gesund-
heitsversorgung. Distanzen 
werden abgebaut und Arzt, 
Apotheker und Patient rücken 
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Es ist 16.30 Uhr am Dienstag dieserWoche, als Martin Schulz in Berlin-Tegel den Eurowings-Flieger 9043
nach Düsseldorf betritt. Auf dem Kopf
trägt er eine dunkle bretonische Fischer-
mütze, die er erst kürzlich wieder hervor-
gekramt hat. Die steife Kappe macht ihn
strenger. Typ Arbeiterführer. Auf zum letz-
ten Gefecht.
Der Parteichef nimmt auf Sitz 1A Platz.
Gleich hinter ihm sitzen bereits Andrea
Nahles, die Fraktionsvorsitzende, und
Karl Lauterbach, der Gesundheitsexperte.
Sie reisen nach Düsseldorf, wo sie wieder
mal stundenlang diskutieren werden, um
die vielen Genossen zu überzeugen, die
erbittert gegen eine Große Koalition
kämpfen. 
Das ewige Drama dieser chronisch zur
Selbstzerfleischung neigenden Partei er-
reicht in den Tagen vor dem Bonner Son-
derparteitag an diesem Sonntag seinen vor-
läufigen Höhepunkt.
Nahles und Schulz glauben, ihre Partei
mit dem Eintritt in die Große Koalition
 zumindest vorerst vor dem Untergang 
zu retten. Ihre Gegner aus der NoGroKo-
14 DER SPIEGEL 4 / 2018
Die Abgehängten
Parteien Die SPD zerfleischt sich, der Linken droht die Spaltung, und die Grünen driften
nach rechts. Die politische Linke in Deutschland und Europa ist machtloser denn je.
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Titel
Fraktion glauben ebenfalls, die SPD mit
ihrem Einsatz zu retten. Die Frage ist nur,
ob sich die SPD überhaupt noch retten
lässt. 
Wie aufreibend die Mission ist, lässt sich
im grellen Licht der Flugzeugkabine nicht
mehr kaschieren. Lauterbach wirkt noch
schmaler als sonst, Schulz’ Augenringe
sind um einiges tiefer, Nahles gähnt. Sie
wirken erschöpft wie selten zuvor in ihrer
Karriere. Erst die nächtelangen Sondie-
rungsgespräche, nun die Überzeugungs-
tournee kreuz und quer durch die Repu-
blik. Der Kampf gegen den Untergang
 kostet enorme Kraft.
„Ich mache jetzt mal ein Nickerchen“,
sagt Schulz, als der Flieger abhebt. Dann
schließt er die Augen. Es dauert nur Se-
kunden, bis er vor Erschöpfung eingeschla-
fen ist. Auch Nahles und Lauterbach ni-
cken umgehend ein.
Die drei abgekämpften und ausgelaug-
ten Spitzengenossen im vorderen Bereich
der Eurowings-Maschine sind ein trauriges
Sinnbild für den Stand der politischen
 Linken im Jahr 2018. Es ist nicht nur die
SPD, die mit sich, ihrer Identität, ihrer
Erfolg losigkeit und ihren Widersprüchen
ringt und die es dabei fast zerreißt. Der
Partei Die Linke, das Resultat einer frü-
heren Zerrissenheit und einer Abspaltung
von der SPD, droht dieser Tage selbst die
Spaltung. Weil sie sich nicht darauf ver-
ständigen kann, wie linke Politik im
 Zeitalter von Globalisierung und Migra -
tionsdruck auszusehen hat: offen und in-
ternationalistisch oder abschottend, natio-
nalistisch? 
Und bei den Grünen, einst ebenfalls
eine Partei, die sichzur politischen Linken
zählte, hat der linke Flügel gegenüber den
Realos an Einfluss verloren. Beim Grünen-
Parteitag in Hannover am kommenden
Wochenende könnte die Partei erstmals
eine Doppelspitze erhalten, die ohne Ver-
treter des linken Flügels auskommt.
Als Antwort auf all diese Schrumpfungs-
prozesse und Zerfallserscheinungen kur-
siert nun die Idee einer neuen linken Volks-
partei, in der sich Sozialdemokraten, Grü-
ne und Linke zusammenfinden sollen. Pro-
pagiert wird sie ausgerechnet von Sahra
Wagenknecht und ihrem Ehemann Oskar
Lafontaine, der die Spaltung der politi-
schen Linken in Deutschland wie kein
Zweiter betrieben hat. Nun scheint er be-
reit, auch seine neue Partei zu opfern.
15DER SPIEGEL 4 / 2018
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Politiker Schulz, Wagenknecht: Das Elend wurzelt tiefer
Titel
Der Trend ist eindeutig. Kam das linke
Lager aus SPD, Grünen und PDS bei der
Bundestagswahl 1998 gemeinsam auf 52,7
Prozent, schafften sie es im Herbst 2017
nur noch auf 38,6 Prozent, wobei sich die
Frage stellt, ob die Grünen nach erfolgrei-
cher Özdemisierung überhaupt noch zum
linken Lager gezählt werden können. Das
rechte Lager verbesserte sich im selben
Zeitraum von 41,4 Prozent (Union und
FDP) auf 56,2 Prozent bei der letzten Bun-
destagswahl (nun inklusive AfD, aber noch
ohne die Grünen). Deutschland war nie so
weit von einem Bundeskanzler mit linker
Agenda entfernt wie heute.
Der Zeitgeist ist rechts, und der Nieder-
gang der politischen Linken scheint sich
nicht stoppen zu lassen – weder in
Deutschland noch in den anderen Staaten
Europas. Dabei war die EU zur Jahrtau-
sendwende noch fest in den Händen der
Sozialdemokraten und Sozialisten. Sie re-
gierten in 12 von 15 EU-Staaten, es war der
Höhepunkt sozialdemokratischer Macht.
Gerhard Schröder in Deutschland, Tony
Blair in Großbritannien, in Frankreich Lio-
nel Jospin. Wobei sich rückblickend die
Frage stellt, ob die Politik dieser vermeint-
lichen Linken tatsächlich links war. Und
ob nicht gerade Schröder und Blair die
Linke mit ihrem bewusst postideologi-
schen und allzu wirtschaftsfreundlichen
Konzept vom „Dritten Weg“ in jene Iden-
titätskrise wiesen, in der sie heute steckt.
Wenn sich im Frühjahr die inzwischen
28 Regierungschefs der EU-Staaten in Brüs-
sel treffen, werden wohl noch sechs Sozial -
demokraten unter ihnen sein. Hinzu
kommt der Grieche Alexis Tsipras von der
linkspopulistischen Syriza-Partei. Und dann
die große Frage: Zählt der französische
Präsident Emmanuel Macron mit seiner
auf den Trümmern der Sozialdemokratie
gegründeten Bewegung „La République
en marche!“ noch als Linker? Ein halber
vielleicht, mit etwas Wohlwollen. Sechs-
einhalb von 28. Ein trauriges Bild.
Wie konnte es dazu kommen?
Die Gründe für den Niedergang der
 politischen Linken in Europa sind bei aller
Gemeinsamkeit vielschichtig, sie unter-
scheiden sich je nach Land voneinander.
Eines aber lässt sich mit Sicherheit sagen:
In den seltensten Fällen waren Große Ko-
alitionen schuld – und noch seltener An-
gela Merkel. Genau das aber versuchen
die wütenden Genossen der NoGroKo-Be-
wegung, angeführt von den Jusos, im Vor-
feld des Bonner Schicksalsparteitags ihrer
Partei weiszumachen.
Es sind vor allem jüngere Genossen wie
Wiebke Esdar, 33, die der Parteispitze den
Kampf erklärt haben. Die Bielefelderin
wurde erst im Herbst ins Parlament ge-
wählt. Nun sitzt sie in ihrem frisch bezo-
genen und noch immer spartanischen Bun-
destagsbüro in der Berliner Wilhelmstraße,
vierter Stock. Die Möbel sind gerade erst
eingetroffen. In ihrem Bielefelder Unter-
bezirk hat Esdar eine Art Keimzelle der
Bewegung geschaffen: Sie selbst sitzt seit
Dezember im Bundesvorstand, ihr Freund
ist Mitglied im Landesvorstand der SPD
in Nordrhein-Westfalen – und ihr Bürolei-
ter ist Juso-Landeschef. Esdar stimmte di-
rekt nach den Sondierungen im Parteivor-
stand gegen den Kurs der SPD-Spitze. 
„Erstens halte ich es für gefährlich,
wenn die AfD Oppositionsführer wird“,
sagt Esdar. „Zweitens sind die Gemein-
samkeiten mit der Union nach acht Jahren
Großer Koalition seit 2005 aufgebraucht.
Und drittens klappt die Zusammenarbeit
mit CDU und CSU einfach nicht.“ So hat-
te die Parteispitze im Oktober ebenfalls
argumentiert. Aber anders als die Führung
ist Esdar einfach bei ihrer Meinung geblie-
ben. Das Ergebnis der Sondierungen mit
der Union enttäuschte sie dann zusätzlich:
Nicht mal einen Einstieg in eine Bürger-
versicherung habe die SPD erreichen kön-
nen, keine Erhöhung des Spitzensteuer-
satzes, kein Ende der sachgrundlosen Be-
fristung. Sie könne keinen Politikwechsel
erkennen, sagt Esdar. „Ich glaube einfach
nicht, dass eine Neuauflage der GroKo
gut für dieses Land ist.“ 
Zum Helden des Widerstands wurde Ke-
vin Kühnert, der Juso-Chef. Nicht weil er
herumposaunt, sondern weil er leiden-
schaftlich, aber sachlich mit der Großen
Koalition abrechnet. Das Problem der jun-
gen Sozialdemokraten ist nur, dass sie kei-
nen Gegenentwurf anbieten können. Es
ist eine Politik nach dem Brexit-Prinzip:
Erst mal Nein sagen – und dann schauen,
wie es weitergeht. Woher wissen die 
GroKo-Gegner denn, dass sich die Partei
in der Opposition besser erneuern lässt als
in der Regierung? In den Oppositionsjah-
ren zwischen 2009 und 2013 hat das jeden-
falls nicht geklappt. 
Die Kampagne der Widerständler ist je-
denfalls kraftvoll genug, um die SPD wie-
der mal vor eine Zerreißprobe zu stellen.
In den letzten Tagen vor der Entscheidung
gleicht der Kampf um die GroKo einem
absurden Wettrennen. Kühnert tourt
durchs Land, Schulz auch. Der SPD-Chef
steht im ständigen telefonischen Kontakt
mit den Landesvorsitzenden, um sich über
die Stimmung auf dem Laufenden zu hal-
ten. Schulz glaubte in den Tagen vor dem
Parteitag, dass am Ende genügend Sozial-
demokraten zum Ja-Lager finden: Bundes-
tagsabgeordnete, Bürgermeister, Landes-
minister, Landräte, vor allem also jene
 Genossen, die ein Mandat haben. Die
Rechnungen gelten auch der Selbstverge-
wisserung. Im Verlauf der Woche wurde
klar: Sollte die Abstimmung schiefgehen,
würde dies das politische Aus für Schulz
und wohl auch für Fraktionschefin Nahles
bedeuten.
Dass der Parteitag in Bonn zur unbere-
chenbaren Angelegenheit wurde, ist nicht
nur der Entschlossenheit der Widerständ-
ler geschuldet, sondern auch dem Zick-
zackkurs der SPD-Führung. Nach dem
Scheitern der Jamaikaverhandlungen
schloss die Parteispitze zunächst eine Gro-
ße Koalition aus, kurz darauf verhandel-
ten sie doch darüber, das wirkte höchst
unprofessionell. Und dass sich etliche Mit-
glieder des Sondierungsteams kurz nach
Ende der Verhandlungen unzufrieden
über die ausgehandelten Ergebnisse äu-
ßerten, ebenfalls.
Die neue Lage ist nicht weniger als ein
Albtraum für die Partei. Geht die SPD in
die Regierung, muss sie viel fürchten, nicht
nur einen Verlust an Glaubwürdigkeit. Es
besteht die Gefahr, abermals von der Kanz-
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SPD-Abgeordnete Esdar: „Die Zusammenarbeit mit CDU und CSU klappt einfach nicht“
lerin in den Schatten gestellt zu werden.
Eine neue Polarisierung zwischen den
Volksparteien, die die Demokratie leben-
dig machen kann, würde vertagt. Die poli -
tischen Ränder könnten gestärkt, die eige-
ne Erneuerung verschleppt werden. 
Einige Genossen hoffen darauf, dass der
Parteichef rasch ein Zeichen setzt, dass er
es mit der Erneuerung trotz einer Regie-
rungsbeteiligung ernst meint. Schulz solle
den Zweiflern eine Brücke bauen und sei-
nen Verzicht auf ein Ministeramt erklären,
heißt es in manchen Landesverbänden.
Auch in der Sitzung der NRW-Landesgrup-
pe am Mittwoch war Schulz’ künftige Rolle
ein Thema, mehrere Redner betonten, dass
sich nur mit einer Trennung von Partei-
vorsitzund Vizekanzleramt die SPD wirk-
lich erneuern und ein Weiter-so verhindern
ließe. Aber kann das gut gehen: ein Chef-
verhandler, der nicht Teil des Kabinetts
ist? Und ginge dann nicht erst recht die
Postendiskussion los, die eigentlich ver-
mieden werden soll?
Beteiligt sich die SPD an der Regierung,
bietet das natürlich auch Chancen. Die Par-
tei hätte Bühnen, die sie sonst nicht hat.
Merkel ist in der Spätphase ihrer Kanzler-
schaft. Es gibt viel Geld zu verteilen, nicht
zuletzt an die eigene Wählerklientel. Und
die Kanzlerin hat nach längerer Diskussion
zugestimmt, zur Mitte der Legislatur eine
Bilanz der Koalition zu ziehen. Das könnte
dann als Anlass für ein vorzeitiges Ende
genutzt werden. Ein eingebauter Flucht-
weg sozusagen.
Dass die Misere der SPD mit einer Ab-
sage an Schwarz-Rot beendet werden könn-
te, wie die Gegner des Bündnisses glauben,
ist nicht sehr realistisch. Denn die Proble-
me der Partei und damit der poli tischen
Linken in Deutschland haben viel früher
begonnen, das Elend wurzelt tiefer. 
Der Göttinger Politikwissenschaftler
Franz Walter, der sich seit Jahrzehnten
mit der Partei befasst, kritisiert denn auch
die „Oppositionsparolen der angeblichen
Parteilinken“. Diese seien „so leer, so hül-
sig, so unelementar, wie die Repetierung
eines Kanons, der zur Glaubensgeschichte
dazugehört, auch wenn überall der Glau-
ben daran zerfällt“. Auf die meisten Bür-
ger wirke das nur noch nervig. Es habe
mal Zeiten gegeben, „da war diese Partei
Träger von Hoffnungen hier oder Projek-
tionsfläche für bürgerliche Bedrohungs-
ängste dort. Jetzt fürchtet sich niemand
mehr vor der SPD, erst recht begeistert
sie niemanden mehr. Sie geht auf den
 Wecker“.
Oskar Lafontaine hat die Zeiten, als die
Partei noch Träger von Hoffnungen war,
selbst miterlebt. In der Woche vor dem
Bonner Parteitag sitzt er daheim im Saar-
land und denkt versonnen zurück. Damals
unter Willy Brandt sah alles noch rosarot
aus, da habe noch ein anderer Geist ge-
herrscht. „Wir trugen im Herzen die Idee
von einer besseren Welt.“ Man sei stolz
gewesen, ein Sozialdemokrat zu sein. „Es
gab eine Aufbruchsstimmung; die Jugend
war begeistert von Willy Brandt.“ Bei den
Parteitagen saßen Intellektuelle wie Max
Frisch und Walter Jens in den ersten Rei-
hen. Man habe noch die klare Aufgabe ge-
habt, sich für die Schwachen einzusetzen
und für den Frieden. „Willy Brandts Knie-
fall in Warschau, das war für uns ein emo-
tionaler Höhepunkt.“
Später war Lafontaine dann selbst für
kurze Zeit ein Hoffnungsträger der SPD.
Bis er im März 1999 überraschend als Fi-
nanzminister und SPD-Vorsitzender zu-
rücktrat und später mit der Linken eine
Konkurrenzpartei gründete. Kaum einer
hat stärker zur Spaltung der deutschen Lin-
ken beigetragen und damit letztlich auch
zu ihrer Schwächung.
„Die SPD hat damals die Seiten gewech-
selt“, sagt er heute über diesen Schritt.
„Sie hat sich dem neoliberalen Mainstream
angepasst.“ Allerdings präsentierte sein
Widersacher Gerhard Schröder die umstrit-
tene „Agenda 2010“ erst 2003 – vier Jahre
nach Lafontaines Flucht. 
Schröders Agenda aber hat der Partei
geschadet wie keine andere Entscheidung.
Was für die wirtschaftliche Entwicklung
des Landes richtig gewesen sein mag, hatte
verheerende Folgen für die SPD. Sie war
plötzlich verantwortlich dafür, dass Men-
schen, die ihr Leben lang geschuftet hatten
und dann arbeitslos wurden, in kurzer Zeit
nur noch ein Minimum an staatlicher Un-
terstützung erhielten. 
Zwar stiegen in der Folge wie erhofft
die Wirtschaftsdaten, und auch die Zahl
der Arbeitslosen sank, aber zugleich führ-
ten die Reformen zu einer massiven Aus-
weitung der Leiharbeit und erhöhten die
Zahl der prekären Beschäftigungsverhält-
nisse. Für Millionen Menschen, die sich
einst von der Arbeiterpartei SPD beschützt
gefühlt hatten, waren die Sozialdemokra-
ten zu Verrätern geworden. 
Die Sozialdemokratie, so drückt es der
mit den Jahren immer radikaler geworde-
ne Lafontaine aus, habe mit der „schweren
Beschädigung des Sozialstaates“ ihre Seele
verloren. Aber die SPD ignoriere noch im-
mer, warum ihr seit 1998 zehn Millionen
Wähler abhandengekommen sind. Lafon-
taine glaubt, dass die SPD gerade „weiter -
stirbt“, und das tue ihm weh, sagt er. Dann
muss er das Telefonat kurz unterbrechen.
„Da ist eine Katze auf der Terrasse“, sagt
er. Er klingt leicht panisch. Eine Tür schlägt
zu. Zwei Minuten später ist er wieder da.
„Die geht mir immer an die Vögel.“ Auch
im heimischen Garten verteidigt Lafon -
taine konsequent die Schwachen gegen die
Raubtiere. 
Besonders zuwider sind Lafontaine
jene Politiker, die sich zu Zeiten der Agen-
da anpassten, die stillschweigend und
 opportunistisch mitmachten, statt linke
Werte zu verteidigen. Jürgen Trittin war
einer, der damals mitmachte, als Minister
in Schröders Kabinett. Und er bereut im
Rückblick vieles: Der Neoliberalismus sei
schuld am Niedergang der politischen Lin-
ken, sagt Trittin. Und Rot-Grün sei es
auch. „Der Neoliberalismus hat dazu
 geführt, dass die Spaltung in der Gesell-
schaft wieder größer geworden ist“, wäh-
rend die Hoffnung auf Teilhabe in der
 Gesellschaft gesunken sei. Dass die So -
zialdemokraten, aber auch die Grünen
„eine Zeit lang den neoliberalen Diskurs
mitgefahren haben“, sei ein Grund dafür,
dass es heute keine linke Mehrheit mehr
gebe. Ein Beispiel? Das Wort „Reform“
sei heute, anders als zu Zeiten Willy
17DER SPIEGEL 4 / 2018
1998 2002 2005 2009 2017
Umfrage
Infratest dimap
vom 4. Januar
Bundestagswahlergebnisse Zweitstimmen in Prozent
SPD
B’90/Grüne
AFD
CDU/CSU
Sonstige
FDP
PDS/Linke
20,5
9,2
8,9
40,9
5,1
35,2
6,2
5,9
6,7
10,7
12,6
5,0
32,9 33
21
13
50 %
9
11
9
Regierungen
2013
Brandts, eine Bedrohung. Statt mehr Teil-
habe drohe Ausschluss. „Daran hatten die
Hartz-Reformen definitiv ihren Anteil.“
Dabei schien es eine Zeit lang, als könn-
te der sogenannte Dritte Weg, den die So-
zialdemokratie, angeführt von Schröder
und Blair, um die Jahrtausendwende fast
überall in Europa einschlug, die Bewegung
zu neuem Glanz führen. Für Parteienfor-
scher Franz Walter war der vermeintliche
Triumph von New Labour allerdings nur
ein Nachglühen der wirklichen sozialde-
mokratischen Epoche: der Sechziger und
Siebziger. Olof Palme, Willy Brandt und
Bruno Kreisky hätten tatsächliche linke
Politik machen können, so Walter, sie hät-
ten die Wirtschaft gesteuert und den ge-
sellschaftlichen Ausgleich organisiert. Im
Zuge der neoliberalen Reformen habe die
Bedeutung des Staats dann nachgelassen.
Dem habe die Linke sich ergeben. Ergeb-
nis: Obwohl sie überall an der Macht ge-
wesen sei, habe sie bei der Kontrolle des
Finanzkapitalismus ab Mitte der Neunzi-
ger versagt. 
Auch die große Gegenwartsbeschrei-
bung des Kultursoziologen Andreas Reck-
witz, 47, der mit „Die Gesellschaft der Sin-
gularitäten“ die wahrscheinlich klügste Ge-
sellschaftsanalyse der vergangenen Jahre
veröffentlicht hat, gibt der Linken nur we-
nig Anlass zur Hoffnung. Spätmoderne Ge-
sellschaften feierten das Besondere, so
Reckwitz, der Durchschnittsmensch mit
seinem Durchschnittsleben zähle nicht
mehr. Das gute Leben entscheide sich nicht
mehr an der Waschmaschine oder dem
Auto, sondern an der besonderen Reise
oder dem restaurierten Oldtimer. 
Die Bruchlinie, die die europäischen Ge-
sellschaften teile, verlaufe zwischen den
neuen Mittelschichten, den Gewinnermi-
lieus des neuen, kreativen Kapitalismus,
die in der ganzen Welt zu Hause seien und
ihr Leben wie ein Kunstwerk inszenierten
– und den alten Mittelschichten, den Hand-
werkern, Ladenbesitzern und kleinen An-
gestellten, die sich davon abgeschnitten
fühlten. Die auf dem Land oder in Klein-
städten leben. Für die die Globalisierung
eher Bedrohung als Verheißung sei und
die mit Abwehr auf die rasanten sozialenVeränderungen reagierten. 
Für Sozialdemokraten und viele andere
linke Parteien sind das schlechte Nachrich-
ten. Denn sie erreichen weder die eine noch
die andere Klasse. Die einen wählen grün
oder liberal, weil sie sich dort als besondere
Individuen ernst genommen fühlen. Die an-
deren wenden sich von der Politik ab oder
gleich den populistischen Bewegungen zu,
bei denen sie ihre Ab neigung gegen die
neuen Eliten gespiegelt sehen.
Bei der jüngsten Bundestagswahl hat die
AfD vor allem in solchen Vierteln gewon-
nen, die Soziologen als „prekär“ bezeich-
nen. Erstmals seit Jahren gingen vermehrt
Hilfsarbeiter, Arbeitslose und Hartz-IV-
Empfänger zur Wahl – und haben ihre
Stimme vor allem der AfD gegeben. In
Vierteln mit vielen Niedrigverdienern er-
reichten die Rechtspopulisten ihre stärks-
ten Ergebnisse. Dagegen musste die SPD
dort große Einbußen hinnehmen.
Von einer „neuen Konfliktlinie der De-
mokratie“ ist in einer Studie der Bertels-
mann-Stiftung die Rede. Wer sich mit Be-
griffen wie „Tradition“ und „Besitzstands-
wahrung“ identifizieren kann, wählt in-
zwischen überwiegend rechts außen. Da-
gegen konkurrieren Union, Grüne und
SPD um die Gruppe der sogenannten Mo-
dernisierungsbefürworter, die gern über
„Grenzüberwindungen“ oder „Beschleuni-
gung“ reden.
Viele Arbeiter können der traditio -
nellen Kleinfamilie viel und der Ehe für
alle weniger abgewinnen. Sie fühlten 
sich heute oft politisch heimatlos, wie 
der Baseler Professor Oliver Nachtwey
sagt. Der Sozialwissenschaftler befragt
derzeit AfD-Wähler in der ganzen Re -
publik nach ihren Einstellungen und
 Motiven; und er ist überrascht, wie viel-
schichtig die Antworten sind. Es gibt den
Lkw-Fahrer, der sich darüber empört, dass
ihm die Überwachungsmodule der moder-
nen Bordelektronik kaum noch Pausen-
zeiten lassen. Und es gibt den Schornstein-
feger, der von seinen Hausbesuchen den
Eindruck mitnimmt, dass Recht und Ord-
nung nichts mehr gelten. Früher haben
viele von ihnen links gewählt; doch in -
zwischen hätten sie das Gefühl, „dass 
sie für die Populisten stimmen müssen,
wenn sie gehört werden wollen“, sagt
Nachtwey.
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SPD-Mitglieder in Düsseldorf: Der Parteispitze den Kampf erklärt
Titel
Von „kultureller Frustration“ sprechen
Politikwissenschaftler, und fataler noch:
Bei vielen kommt sie zur ökonomischen
Enttäuschung hinzu. Deutschland hat
 einen der größten Niedriglohnsektoren in
Europa. Zwar sind die Löhne auch in den
unteren Gehaltsgruppen zuletzt etwas
 angestiegen, doch häufig werden die Zu-
wächse von steigenden Mieten, Energie-
oder Lebensmittelpreisen wieder aufge-
fressen. Was bleibt, ist das Gefühl, von
den Früchten des Aufschwungs ausge-
schlossen zu sein.
Welche Schlüsse sollten linke Parteien
nun aus diesen eher düsteren Erkenntnis-
sen der Forschung ziehen? Lässt sich das
verspielte Vertrauen überhaupt noch zu-
rückerobern? Weil die Krise der politi-
schen Linken im Lande so offensichtlich
ist, schwanken viele an der Spitze von
SPD, Grünen und Linken derzeit zwischen
Resignation und Ratlosigkeit.
Es ist auch dieser Eindruck von Läh-
mung, die Lafontaine und seine Frau Sahra
Wagenknecht dazu brachten, mehr Konse-
quenz zu wagen. Eine linke Mehrheit, so
ihre Überzeugung, sei nur noch durch eine
Neuordnung des Parteiensystems zu erzie-
len. Eine linke Sammlungsbewegung solle
entstehen, forderte Wagenknecht vorige
Woche im SPIEGEL. Sie wünsche sich eine
starke linke Volkspartei. Ein paar Tage und
einige Empörungswellen später sitzt sie in
hellblauem Kostüm in ihrem Büro und gibt
sich zufrieden. Sie habe fast ausschließlich
positive Zuschriften bekommen, sagt sie,
und bleibt bei ihrer Analyse: „Die SPD
schafft sich ab, und es gibt keine Kraft, die
die entstehende Leerstelle von links füllen
kann.“ Dass ihre bisherige Partei, die Linke,
die enttäuschten SPD-Wähler für sich ge-
winnen könnte, hält sie für eine Illusion.
„Ich will, dass etwas entsteht, das deutlich
breiter ist“, sagt sie. Deswegen habe sie et-
was „Neues“ gefordert. 
Mit ihrer Forderung erklärt sie die Partei,
deren Fraktion sie derzeit im Bundestag
anführt, faktisch für ungeeignet. Entspre-
chend erbost reagierten die Kollegen. Für
das Projekt einer Abspaltung gebe es keine
Unterstützung in der Partei, machte Par-
teichefin Katja Kipping klar. Der Thüringer
Ministerpräsident Bodo Ramelow kritisier-
te das „gefährliche Gerede von der Samm-
lungsbewegung“ und warf Wagenknecht
vor, die Linke zu zerstören. Von Sozialde-
mokraten und Grünen wurde die Idee
ebenfalls prompt zurückgewiesen. „Wagen -
knechts Politikmodell basiert auf Abgren-
zung, der Entlarvung der SPD, eben der
Spaltung der gesellschaftlichen Linken“,
sagt der Grüne Jürgen Trittin. „Da müssten
noch viele Scherben eingesammelt werden,
bevor sie glaubhaft Teil einer Sammlungs-
bewegung sein kann.“ 
Vorigen Sonntag zeigte sich das Ehepaar
Wagenknecht/Lafontaine wie üblich bei
der Gedenkfeier anlässlich
der Ermordung von Rosa
Luxemburg und Karl Lieb-
knecht in Berlin-Fried-
richsfelde (siehe Seite 22).
Als sie in ihrer schwarzen
Limousine an der Gedenk-
stätte der Sozialisten vor-
fuhren, zischte man ihnen
entgegen: „Rosa würde
sich im Grab umdrehen.“ 
Ein Vorbild haben die
beiden im französischen
Linkspopulisten Jean-Luc
Mélenchon gefunden. Mé-
lenchon war beim Neu-
jahrsempfang der Frak -
tion am vorigen Wochen-
ende als Redner geladen –
im Gegensatz zu den unerwünschten Par-
teichefs Kipping und Bernd Riexinger.
 Mélenchon, ein enger Freund Lafontaines,
sprach mit einer Stimme, die an Donner-
grollen im Gebirge erinnert, vom „Freund
Russland“ und wurde für seine Parolen
 bejubelt.
Mélenchon holte mit seiner neu gegrün-
deten Bewegung „La France insoumise“
in der ersten Runde der französischen Prä-
sidentschaftswahl aus dem Stand 20 Pro-
zent. Dabei trat er ganz bewusst nicht als
Partei an, sondern mit einer parteiüber-
greifenden Liste. „So war es viel leichter,
Wähler zu gewinnen“, sagt Mélenchon.
Die Hürden seien wesentlich niedriger.
Der Wähler müsse so nicht mit einer
 gesamten Partei, deren Organisation, Per-
sonal und Ideen einverstanden sein. „Ge-
stimmt wird einfach nur für ein Wahl -
programm.“ Und natürlich auch für eine
Person.
„Drei alte weiße Männer: ich, Jeremy
Corbyn in Großbritannien und Bernie San-
ders in den USA – wir haben die Jugend
erreicht“, erklärt er und lächelt versonnen.
„Sie sehen also, das ist keine Altersfrage
und auch keine Frage irgendwelcher digi-
talen Kommunikationsstrategien.“ Für den
Erfolg seien vor allem zwei Dinge nötig:
Geduld und Leidenschaft. „Wir haben nur
eine Realität abgerufen, die es in der
 Gesellschaft schon gibt: den Wunsch nach
linker Politik.“
Kann die deutsche Linke also von Mé-
lenchons Erfolg lernen? 
Sie müsste sich zunächst mal darauf ver-
ständigen, für welchen Kurs sie überhaupt
eintreten will. Im Zeitalter der Flüchtlings-
krisen ringt gerade die deutsche Linke mit
der Frage, ob eine soziale Politik vor allem
für Deutsche gemacht
 werden soll oder ob die
Solidarität mit den Schwa-
chen so weit über die Fra-
ge der Nationalität hinaus-
reicht, dass die Grenzen
für jeden offen sein sollen. 
Es ist eine der ungelös-
ten Fragen linker Politik –
und nichts illustriert die
Sprengkraft dieser Frage
eindrücklicher als der er-
bitterte Streit zwischen
den Linken-Politikerinnen
Kipping und Wagenknecht.
Während Kipping der Uto-
pie eines Planeten nach-
hängt, auf dem Bewegungs -
freiheit und Chancen gleich -
heit für alle herrschen, setzt Wagenknecht
auf einen linksnationalen Kurs. Sie spielt
mit Ressentiments. Im Vordergrund stehen
bei ihr die eigenen Landsleute. Der Natio-
nalstaat wird als eine Art Schutzraum in
der globalisierten Welt betrachtet. 
Der Riss, der inder Frage nach dem rich-
tigen Kurs durch die Linke und auch durch
die SPD geht, ist nicht nur in Deutschland,
sondern in ganz Europa zu beobachten.
Während etwa die dänischen Sozialdemo-
kraten glauben, der Weg nach rechts führe
wieder an die Macht, setzt Labour-Chef
Jeremy Corbyn in Großbritannien auf
 einen stramm linken Kurs. In vielen euro-
päischen Ländern sind zudem neue linke
Bewegungen wie etwa Podemos in Spa-
nien entstanden, die die alte Sozialdemo-
kratie mit ihrer Radikalität wie träge Ver-
eine wirken lassen. In Deutschland ist die
Lage noch verzweifelter. Die SPD ringt er-
bittert um die Frage, ob sie Angela Merkel
noch einmal zur Kanzlerin machen will.
Die Linke fragt sich, ob sie nationalisti-
scher werden soll, und die Grünen sind
sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt
noch eine linke Kraft sein wollen.
In den Siebzigerjahren gab es eine ge-
meinsame Vorstellung von linker Politik.
Heute kämpfen die verschiedenen linken
Gruppierungen oft erbitterter gegeneinan-
der als gegen den Gegner von rechts. In
den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhun-
derts war es die Spaltung zwischen Sozial-
demokraten und Kommunisten, die dem
Faschismus den Weg ebnete. 
Vielleicht sollte sich die Linke nach Jah-
ren der Individualisierung und Ausdiffe-
renzierung mal wieder auf den Ursprungs-
gedanken und Kern ihrer Bewegung besin-
nen: Nur gemeinsam sind wir stark.
Nicola Abé, Markus Feldenkirchen, Veit Medick,
Ann-Katrin Müller, Tobias Rapp, Christian Teevs
19DER SPIEGEL 4 / 2018
Aktualisierung: Ab Sonntag-
abend lesen Sie hier, 
wie die SPD abgestimmt hat.
spiegel.de/sp042018aktuell 
oder in der App DER SPIEGEL
SPD-
Mitglieder
 
Ende 1990
949 550
Nov. 2017
ca. 443 000
Quelle: Bis 2015 die 
Rechenschaftsberichte 
der SPD; ab 2016 
Auskunft der SPD
„Erst mal Nein sagen 
und dann schauen, wie 
es weitergeht.“ 
SPIEGEL: Herr Schulz, waren Sie mal Mit-
glied bei den Jusos?
Schulz: Ja. Ich war sogar ein paar Jahre ihr
Vorsitzender in meiner Heimatstadt Wür-
selen. Die Jusos machten damals Front ge-
gen Helmut Schmidt und debattierten über
staatsmonopolistischen Kapitalismus. Ich
gehörte in dieser Frage zu den moderate-
ren Vertretern, unter anderem, weil ich als
Sohn eines Polizeibeamten ein eher posi-
tives Verhältnis zum Staat und seinen Au-
toritäten hatte.
SPIEGEL: Heute attackieren die Jusos wieder
Autoritäten, nämlich Sie und Ihren Plan
für eine Neuauflage der Großen Koalition.
Wie genervt sind Sie von Ihrer Jugend -
organisation?
Schulz: Überhaupt nicht. Mit der Kritik
kann ich leben. Ich bin derjenige, der den
Streit in der Sache wollte. Als ich vor ei-
nem Jahr als Parteivorsitzender angetreten
bin, habe ich genau das angekündigt: eine
lebendige Debattenkultur in der SPD. Wo-
mit ich nicht einverstanden bin, ist eine
Ablehnung um des Ablehnens willen. Ich
möchte mit den Jusos über das diskutieren,
was wir für die junge Generation erreichen
können. Wenn die Große Koalition zustan-
de kommt, werden wir zum Beispiel das
Bafög erhöhen und eine Mindestvergütung
für Auszubildende einführen. Und in den
europäischen Nachbarländern werden ge-
rade junge Leute davon profitieren, dass
wir weniger sparen und mehr investieren.
SPIEGEL: Juso-Chef Kühnert wirft Ihnen vor,
Sie hätten, anders als verabredet, nicht er-
gebnisoffen sondiert, sondern einfach
„sehr große Lust“ auf eine Große Koalition
gehabt.
Schulz: Wer das behauptet, hat zwischen
dem 24. September und der Aufforderung
des Bundespräsidenten nach dem Schei-
tern von Jamaika den Schlaf der Gerech-
ten geschlafen. Wenn wir aber in Sondie-
rungs- und Koalitionsgespräche gehen,
dann haben wir auch einen politischen Ge-
staltungsauftrag, nämlich das Leben all je-
ner zu verbessern, die auch die Jusos im
Blick haben: Arbeitnehmer mit niedrigen
Einkommen, Senioren mit kleinen Renten,
Azubis, Familien, Alleinerziehende.
SPIEGEL: Viele in der Partei sehen einfach,
dass die SPD nach jeder Großen Koalition
Wählerstimmen eingebüßt hat. Beein-
druckt Sie das nicht?
Schulz: Das beeindruckt jeden Sozialdemo-
kraten. Die letzte Große Koalition hat sich
allein schon für den Mindestlohn gelohnt.
Er hat das Leben Hunderttausender Men-
20 DER SPIEGEL 4 / 2018
Zur Selbstironie fähig 
SPD Parteichef Schulz, 62, spricht über seine Zeit als Juso, warnt die Genossen, aus den Gesprächen
über eine Große Koalition auszusteigen, und erklärt, was ihn mit der Kanzlerin verbindet.
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Sozialdemokrat Schulz: „Dann würde es zu Neuwahlen kommen“
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schen verändert. Ich bin in die Politik ge-
gangen, um die Welt zu verbessern, nicht
um mich wohlzufühlen. Viele sagen ja
jetzt: Lasst die anderen regieren, dann kön-
nen wir in vier Jahren machtvoll angreifen.
Mir ist das zu taktisch. Ich will nicht, dass
die Altenpflegerin vier Jahre lang auf bes-
sere Arbeitsbedingungen wartet, nur damit
sich die SPD wohlfühlt.
SPIEGEL: Aber Sie könnten ein Minderheits-
kabinett Merkel tolerieren.
Schulz: Frau Merkel hat das ausgeschlossen.
Jeder muss wissen: Eine Minderheitsregie-
rung wäre nur eine kurze Übergangsphase
auf dem Weg hin zu Neuwahlen. Wir ha-
ben das in den Sondierungen angespro-
chen. Zum anderen: Eine Regierung, die
bei jeder Kleinigkeit um ihre Mehrheit im
Parlament zittern muss, halte ich persön-
lich auch nicht für das richtige Modell für
Deutschland. Schon gar nicht in einer Zeit,
in der wir Europa stabilisieren, den Klima-
wandel stoppen und riesige internationale
Herausforderungen von China über Trump
bis Putin wuppen müssen. Da ist es schon
ein Vorteil, wenn die Regierung über eine
stabile Mehrheit verfügt.
SPIEGEL: Viele Genossen hat auch irritiert,
dass Sie nach der Jamaikaabsage der FDP
zunächst weiter gegen eine Neuauflage der
Großen Koalition waren. Wie viel Verant-
wortung tragen Sie persönlich für den Un-
mut in Ihrer Partei?
Schulz: Es stimmt, dass wir in der Partei-
führung die Lage an dem Montag nach
dem Scheitern der Jamaikaverhandlungen
anders eingeschätzt haben. Aber da kann-
ten wir die Haltung des Bundespräsidenten
noch nicht. Nach seiner Intervention war
die Lage neu zu bewerten. Darauf haben
die Parteigremien und ich dann sehr
schnell reagiert.
SPIEGEL: Was würde passieren, wenn der
Parteitag am Sonntag Nein sagte?
Schulz: Dann würde es zu Neuwahlen kom-
men, und zwar ziemlich rasch.
SPIEGEL: Und, wäre das so schlimm?
Schulz: Die SPD müsste dann mit einem
Programm in den Wahlkampf ziehen, das
in großen Teilen mit dem Sondierungs -
ergebnis identisch ist. Wie absurd wäre das
denn? Noch größer aber wäre der Schaden
für die Demokratie. Wenn es den Parteien
nicht gelingt, mit den Mehrheiten im Bun-
destag eine Regierung zu bilden, würden
sie von den Wählern abgestraft. Das würde
nur Populisten und Demokratieverächtern
nutzen. 
SPIEGEL: Trotzdem fordern viele Sozial -
demokraten, das Sondierungsergebnis
noch einmal nachzuverhandeln. Sehen Sie
dafür Chancen?
Schulz: Wir haben sondiert und keine Ko-
alitionsverhandlungen geführt. Die begin-
nen erst, wenn der Parteitag grünes Licht
dafür gibt. Dann wird, so haben wir es be-
schlossen, auf der Grundlage der Sondie-
rungsergebnisse verhandelt, vertieft, er-
gänzt und präzisiert. 
SPIEGEL: Soll es dabei auch um jene Leucht-
turmprojekte gehen, die viele Sozialdemo-
kraten jetzt so schmerzlich vermissen: die
Bürgerversicherung zum Beispiel? 
Schulz: Wir haben bei der Sondierung den
Rahmen abgesteckt, was geht und was
nicht geht. Dabei bleibt es. Wir wollen ja
auch nicht, dass die andere Seite Dinge in-
frage stellt, die wir erstritten haben. Aber
Sie können sicher sein: Wir werden im
Rahmen der Koalitionsverhandlungen
noch viele Themen ansprechen, die uns
Sozialdemokraten am Herzen liegen.
SPIEGEL: Dazu gehört zum Beispiel der Spit-
zensteuersatz. Die SPD wollte ihn anhe-ben, konnte sich damit aber bei den Son-
dierungen nicht durchsetzen. Werden Sie
da nachlegen?
Schulz: Wir haben keine Erhöhung aushan-
deln können, das stimmt. Aber dafür ha-
ben wir unser Ziel, das Steuersystem ge-
rechter zu machen, auf anderem Wege er-
reicht. Unsere Freigrenzenregelung beim
Soli führt dazu, dass Menschen mit kleinen
und mittleren Einkommen um zehn Mil -
liar den Euro entlastet werden – 90 Prozent
der Steuerzahler haben dann mehr im
Portemonnaie, die 10 Prozent Topverdie-
ner aber zahlen genauso viel wie heute.
Das ist auch eine wirksame Methode, et-
was gegen die wachsende Kluft zwischen
Arm und Reich zu unternehmen. 
SPIEGEL: Der Gang in die Große Koalition
ist das eine, der Gang hinaus das andere.
Wie wollen die Sozialdemokraten für eine
neue Regierung trommeln, nachdem sie
vier Jahre lang für die alte geworben ha-
ben? Haben Sie dafür einen Plan? 
Schulz: Natürlich. Punkt eins ist, meine
Partei für Koalitionsverhandlungen zu ge-
winnen. Punkt zwei besteht darin, die
SPD-Mitglieder vom Ergebnis zu überzeu-
gen – wenn wir denn eins erzielen. Punkt
drei lautet, so zu regieren, dass die Leute
die SPD für fähig halten, das Land zu
 führen. Und Punkt vier und genauso
 wichtig: die Erneuerung der SPD voran-
treiben. Nicht nur organisatorisch, son-
dern auch programmatisch. Wir müssen
wieder die Architekten neuer Zukunfts-
entwürfe werden.
SPIEGEL: Das Problem ist nur, dass auch
Ihre Amtsvorgänger nach diesem Rezept
vorgegangen sind. Das Ergebnis an der
Wahlurne war nicht unbedingt überzeu-
gend.
Schulz: Ich bezweifle, dass die Krise der
SPD vornehmlich von der Großen Koali tion
verursacht worden ist. Schließlich steckt
die Sozialdemokratie nicht nur in Deutsch-
land, sondern europaweit in der Krise. 
SPIEGEL: Wo sehen Sie die Gründe?
Schulz: In der erodierenden Gesellschaft,
in der wir leben, brauchen wir mehr Zu-
sammenhalt. Deshalb müssen wir unser
Land dort erneuern, wo die Solidargemein-
schaft am stärksten herausgefordert ist: bei
Bildung, Qualifizierung, der Würde im
 Alter. Mehr soziale und mehr öffentliche
Sicherheit: Wenn die Sozialdemokratie be-
weist, dass sie hier überzeugende Antwor-
ten hat, wird sie auch wieder mehr Wähler
anziehen.
SPIEGEL: Ihr Amtsvorgänger Sigmar Gabriel
ist anderer Meinung. Er hat in einem Bei-
trag für den SPIEGEL geschrieben, dass
sich die SPD zu viel um Grünes und Libe-
rales und zu wenig um Rotes gekümmert
habe. Die klassische Klientel aus der In-
dustriearbeiterschaft sei vernachlässigt
worden. Hat er recht?
Schulz: Sigmar Gabriel war knapp acht Jah-
re lang Parteivorsitzender. Er hat die Ent-
wicklung in seiner Amtszeit beschrieben,
das ist sein Recht. Auch ich mache mir na-
türlich meine Gedanken dazu. 
SPIEGEL: Nämlich?
Schulz: Niemand hat die Interessen der
klassischen Industriearbeiterschaft in den
vergangenen Jahren so zu seinem Herzens-
anliegen gemacht wie die SPD. Ich nenne
hier nur mal die Themen Zeitarbeit, Min-
destlohn, Rente mit 63. Aus meiner Sicht
müssen wir uns die Frage stellen, warum
diese Erfolge bei den Bürgerinnen und Bür-
gern nicht wahrgenommen wurden. 
SPIEGEL: Die SPD hat in der letzten Legis-
laturperiode durchaus gemeinschaftlich
manches durchgesetzt, in der Sozialpolitik
oder beim Mindestlohn. Es hat der Partei
aber kaum Punkte gebracht. 
Schulz: Die SPD muss lernen, zu sich selbst
und ihren eigenen Erfolgen zu stehen. Ich
habe manchmal das Gefühl, dass es bei
der SPD zugeht wie bei meinem Großva-
ter. Der hat ein Zeugnis mit sechs Einsen
und einer Zwei nach Hause gebracht, und
dann hat der Lehrer druntergeschrieben:
Bei noch größerem Fleiß hätte der Schüler
noch besser abschneiden können. Die SPD
muss mehr Stolz auf die eigene Leistung
entwickeln.
SPIEGEL: Viele in der Partei haben aber das
Gefühl, dass es in einer neuen Großen Ko-
alition genauso laufen würde wie in der
alten. Dabei hatte es zuletzt immer gehei-
ßen, ein Weiter-so dürfe es nicht geben. 
Schulz: Das wird es auch nicht. Wir haben
in den Sondierungen zum Beispiel eine
fundamentale Neuausrichtung der Beschäf-
tigungspolitik erreicht: Erstmals wird es
 einen wirklich sozialen Arbeitsmarkt in
Deutschland geben. Wir werden mit Milliar -
denbeträgen Menschen, die bisher als nicht
mehr vermittelbar gelten, zu einer vom
21DER SPIEGEL 4 / 2018
„Die SPD muss lernen, zu sich
selbst und ihren 
eigenen Erfolgen zu stehen.“
Reihe mobiler Toiletten, so diskret, wie
mobile Toiletten auf einem Friedhof eben
stehen können. An den Ständen dahinter
werden Glühwein und Bratwurst ange -
boten, man kann auch Abonnements 
bei etwa einem Dutzend sozialistischer
Kleinstzeitungen abschließen. 
Ulli Zelle, der rasende Reporter des RBB,
weist seinen Kameramann an, sich rasch
zum Parkplatz zu begeben. Dort wird in
Kürze die Parteispitze vorfahren. „Ich will
die Wagenknecht“, raunt er ihm zu.
Um halb zehn entsteigt die Frak -
tionsvorsitzende ihrer Limousine. Im Licht
der tief stehenden Sonne sieht sie aus, als
bestünde sie aus einer edleren Substanz
als ihr Mann Oskar Lafontaine, der ihr die
Tür aufhält. Sie hat einen schwarzen Man-
tel an, auf dessen Pelzkragen ihr Dutt ruht
wie eine schlafende Katze. Für einen Mo-
ment ist es vorstellbar, dass sie nun gleich
ein Märchenschloss bezieht, als Königin
 eines utopischen Landes.
Die Chopin-CD springt wieder auf An-
fang, Wagenknecht schreitet den gestreu-
ten Weg entlang, durch das Spa-
lier der Trauernden. Der Kame-
ramann vom RBB stellt sich für
die bessere Perspektive auf die
Gedenktafel von Otto Grote-
wohl, Wagenknechts Gesicht
schimmert, als sie den Kranz
niederlegt, auf den Berg von ro-
ten Nelken. Sie hält inne, ganz
so, als wäre sie eine nahe Ver-
wandte der Verstorbenen, eine
Enkelin womöglich. Hinter ihr
wartet Gregor Gysi, bis er auch
endlich mal dran ist.
Auf dem Rückweg gibt Wa-
genknecht ein Interview, sie
sagt: „Im entfesselten Kapitalis-
mus wird Rosa Luxemburgs Bot-
schaft immer wichtiger.“ An ihrem Wagen
wird sie noch von einer Greisin angespro-
chen, die eine Breschnew-Fellmütze trägt,
eine Uschanka, auf deren Stirnklappe
Hammer und Sichel prangen. „Viel Kraft
wünsch ich dir, Sahra“, sagt die Frau.
„Bleib bei deiner Linie. Wir haben uns ja
so dafür eingesetzt, dass die SED sich nicht
auflöst.“ Die Fraktionsvorsitzende lächelt
kühl. Dann steigt sie mit Lafontaine in den
Fond und wird davongefahren.
Auf dem frei gewordenen Parkplatz hält
kurz darauf ein Lieferwagen. Ein Vietna-
mese lädt 20 Kübel roter Nelken aus, die
schon bald verwelkt sein werden.
Dirk Gieselmann
Titel
Staat bezahlten Stelle verhelfen, und zwar
zu Tariflöhnen. Ich halte das für eine große
Errungenschaft im Kampf gegen die De-
mütigungen, die viele Langzeitarbeitslose
häufig erdulden müssen.
SPIEGEL: Neu ist auch, dass Union und SPD
zur Mitte der nächsten Legislaturperiode
überprüfen wollen, was die Große Koalition
gebracht hat. Wollen Sie so die Zusam-
menarbeit nach zwei Jahren beenden?
Schulz: Das ist nicht das Ziel dieser Verein-
barung. Wir haben aber in der letzten Le-
gislaturperiode die Erfahrung gemacht,
dass wir nach zwei Jahren weite Teile un-
seres Koalitionsvertrags erledigt hatten.
Dann aber tauchten viele neue Probleme
auf, für die es keine Verabredungen gab:
von Glyphosat bis Flüchtlinge. Dieses Ver-
säumnis hat der letzten Koalition eine ge-
wisse Bleischwere gegeben. Das wollen
wir ändern.
SPIEGEL: Damit die künftige Regierung gut
funktioniert, muss es auch eine mensch -
liche Basis für die Zusammenarbeit geben.
Wie sind Sie in der Sondierungsnacht mit
Merkel und Seehofer klargekommen?
Schulz: Was mich zuversichtlich stimmt, ist
die Tatsache, dass wir drei zu einer gewis-
sen Selbstironie fähig sind. Das macht es
schon mal leichter. Ich will auch ausdrück-
lich Andrea Nahles und Volker Kauder er-
wähnen. Am wichtigsten aber ist, dass die
Parteichefs ein Vertrauensverhältnis auf-bauen. Nach den Sondierungen bin ich
 etwas optimistischer als zuvor, dass uns
das gelingt.
SPIEGEL: Im Wahlkampf haben Sie sich mit
Merkel noch heftig über die Europapolitik
gestritten. Nun soll es das wichtigste The-
ma für die neue Regierung werden. Wird
Merkel nun wie Sie die „Vereinigten Staa-
ten von Europa“ fordern? 
Schulz: Wir werden wahrscheinlich nicht
in jedem Detail übereinstimmen; aber wir
sind uns sehr einig, welche Schritte in
Europa nun notwendig sind. Wir brauchen
eine positive Antwort auf Macron, und wir
müssen in Europa mehr investieren. Dass
es dafür im Sondierungspapier eindeutige
Formulierungen gibt, ist übrigens ein
 klarer Erfolg für die SPD. Natürlich muss-
ten wir auch Konzessionen an die Union
machen, aber in der Europapolitik ist die
Linie eindeutig SPD pur. 
SPIEGEL: In der SPD gibt es trotzdem viele
Skeptiker. Was machen Sie, wenn der Par-
teitag gegen die Große Koalition stimmt? 
Schulz: Ich bin sehr zuversichtlich, dass er
das nicht tun wird.
Interview: Veit Medick, Michael Sauga
22 DER SPIEGEL 4 / 2018
Der Arbeiter verhalte sich, so Marx,zum Produkt seiner Arbeit wie zueinem „fremden Gegenstand“.
Auch die Werktätigen in den übersee-
ischen Großgärtnereien werden kaum wis-
sen, warum sie einmal im Jahr die Produk-
tion von roten Nelken für Berlin um ein
Vielfaches heraufsetzen müssen. Und die
asiatischen Verkäuferinnen, die im eisigen
Wind auf der S-Bahn-Brücke unweit des
Zentralfriedhofs Friedrichsfelde sitzen, ha-
ben nur eine vage Ahnung, warum so viele
Menschen am Sonntagmorgen um acht
 diese Blumen brauchen.
„Jemand gestorben, ja?“, sagt eine.
„Traurig, traurig.“
Die Todesfälle liegen 99 Jahre zurück,
am 15. Januar 1919 wurden die Arbeiterfüh-
rer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
von Freikorps soldaten ermordet. Am zwei-
ten Sonntag des Jahres, dem Allerseelen
der Linken, wird ihrer gedacht, auf dem
einstigen Armenfriedhof, wo Liebknechts
Gebeine vermutlich noch begraben sind
und Luxemburgs womöglich nie begraben
waren, ihr Verbleib ist ungewiss. Die Men-
schen ziehen zu Tausenden zur Gedenk-
stätte der Sozialisten und legen dort die
Nelken nieder, das Stück zu einem Euro.
Aus Lautsprechern schallt Chopins Trau-
ermarsch. Die Menge bewegt sich im ge-
tragenen Takt der Musik, als folge sie einer
geheimen Choreografie. Der Reigen ge-
mahnt an einen frühkirchlichen Gottes-
dienst, nur eben ohne Gott. Ein Friedhofs-
wärter streut Sand auf den Weg ringsum.
„Achtung, Blitzeis!“, ruft er. „Et herrscht
akute Unfalljefahr.“ 
Am Rande der Gedenkstätte franst das
Weihevolle aus, es zeigt sich die Dialektik
von Pathos und Banalität. Dort steht eine
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Teilnehmerin der Feierstunde
Jemand gestorben?
Nelken welken
Nostalgie Der Gedenktag für Rosa Luxemburg und
Karl Liebknecht ist das Allerseelen der Linken.
„Wir brauchen
eine positive Antwort
auf Macron.“
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Eigentlich geht es um Schweine, dochRobert Habeck schafft es in wenigenSätzen bis zu Jean-Jacques Rousseau.
Es ist der vergangene Dienstag, der
Agrarkongress des Umweltministeriums in
Berlin, im Publikum steht ein Bauer aus
dem Münsterland und erzählt, wie er den
Hof seiner Eltern umgebaut hat. Statt deren
„Gemischtwarenladen“ mit ein paar Kühen,
Schweinen und Hühnern hat er jetzt nur
noch Sauen, dafür aber knapp 300. „Warum,
Herr Habeck“, fragt er, „ist ein Betrieb, der
wächst, nicht gut?“
Der grüne Landwirtschaftsminister von
Schleswig-Holstein hatte zuvor gesagt,
dass in der deutschen Landwirtschaft kein
Raum für Wachstum sei. Es müsse „weni-
ger Tiere“ geben. 
Jetzt holt er weit aus: „Ist das überhaupt
die Lebensmittelproduktion, die wir wol-
len?“ Und noch weiter: „Degradieren wir
Tiere damit nicht zu Rohstofflieferanten?“
Am Ende erklärt er dem Publikum noch
rasch, wie Demokratie funktioniert. Und
den Gesellschaftsvertrag von Rousseau.
Den großen Bogen vom Schweinebauern
zum Tierwohl bis zur politischen Theorie
und zurück, Habeck schafft ihn spielend. 
Bei den Grünen kann das keiner so wie
er. Robert Habeck, 48 Jahre alt, vor seinem
Politikerleben hauptberuflich Schriftsteller,
ist aktuell ihr größtes politisches Talent,
und er weiß das auch. Habeck verfügt über
genau jene Mischung von Begabungen, die
in diesen Zeiten Erfolg verspricht: rhetori-
sches Talent, ein sicheres Gespür für die
Stimmung und Machtwillen. Dazu kommt,
dass er sich vor allem um die Themen küm-
mert, die seiner Partei Stimmen bringen:
Umwelt und sozialer Zusammenhalt. Dazu
ist er zutiefst pragmatisch. Das macht ihn
zum idealen Protagonisten für die herr-
schende Stimmung in der Partei: nicht
mehr linkes Lager, sondern linke Mitte.
Am kommenden Wochenende möchte
Habeck Parteichef der Grünen werden.
Und trotz der Machtarithmetik von Frau-
en, Männern, Realos und Linken wäre ihm
der Posten eigentlich sicher. Spätestens seit
den Jamaika-Sondierungen ist Habeck in
der Partei unangefochten. Kein Mann traut
sich, gegen ihn anzutreten.
Selbst Spitzengrüne des linken Flügels
bedenken ihn mit Elogen. Habeck sei ein
„politischer Mensch mit Intellekt und Wis-
sen, der gemerkt hat, wann wir über den
Tisch gezogen werden sollten“, sagt einer,
der mit ihm Jamaika im Bund sondiert hat.
Habeck wisse außerdem, dass es nicht nur
darum geht, einen inhaltlich guten Fach-
vorschlag zu machen. Und er gehe ab und
an auf Risiko, das habe der Partei gefehlt.
Aber Habeck will nicht einfach Partei-
chef sein, sondern Parteichef mit Autorität.
Das ist gerade bei den antiautoritären Grü-
nen keine Selbstverständlichkeit, auch das
weiß Habeck. Jetzt verlangt er von seiner
Partei einen Beweis, dass sie ihm folgt.
Auch wenn es wehtut.
Denn seit Juni ist Habeck wieder Um-
weltminister in Schleswig-Holstein. Und
das will er zunächst auch bleiben, trotz
Parteivorsitz.

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