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Bar, Ludwig von. Geschichte des Deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorien. 1882

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Geschichte des deutschen Strafrechts und
der Strafrechtstheorien
1. (einziger) Band des Handbuchs des deutschen Strafrechts
Carl Ludwig von Bar
1882
Inhaltsverzeichnis
3
Inhaltsverzeichnis
4
A. Vorwort zur Originalausgabe
Seite XXI
Es ist begreiflich, dass unmittelbar nach dem Erscheinen eines umfassenden einheit-
lichen Gesetzbuches eine interpre-tirende, dialektische Behandlung des Rechts in den
Vordergrund tritt. Indess wird dieser Richtung gegenüber auch die mehr historische Be-
handlung ihr Recht in Anspruch nehmen dürfen; auf ihr soll dies Handbuch ruhen, dessen
ersten Band ich hiermit der Öffentlichkeit übergebe; es soll das deutsche Strafgesetzbuch
in allen seinen Teilen und Bestimmungen, wie in seiner Gesamtheit als Ergebnis einer
langen Vergangenheit zu erfassen und darzustellen versuchen. Dieser Versuch schliesst je-
doch ebensowenig eine philosophische Behandlung wie eine praktische Verwertung aus;
er fordert vielmehr erstere, wenn wir die Geschichte nicht auffassen als ein beliebiges
Konglomerat von Tatsachen, und er führt zu letzterer hin, da der Ueberblick über eine
lange Entwicklung sicherer den Sinn einer gesetzlichen Bestimmung entziffern lässt, als
der leichtere, aber nicht selten irre führende Weg glänzender Dialektik. Nebenbei wer-
den wir aber so auch Schlüsse ziehen können auf die künftige Entwicklung des Rechtes;
mindestens werden wir davor bewahrt bleiben, alte Irrtümer, die immer wieder in modi-
schem Aufputz aufzutauchen pflegen, für neue Wahrheiten zu halten und durch sie uns
den Weg des stetigen und wahren Fortschritts versperren zu lassen, mindestens auch in
den Stand gesetzt werden, wirkliche Sachkunde von einem Dilettantismus zu unterschei-
den, der nicht selten mit Reformvorschlägen hervortritt, aber seine Wissenschaft etwa
kaum aus den neuesten Bänden der Zeitschriften oder nur aus der neuesten Zeitströmung
Seite XXII
bezogen hat. Um jenes Ziel anzustreben — das wirkliche Erreichen mag ausgeschlossen
sein — war es aber erforderlich, der geschichtlichen Betrachtung der einzelnen Rechts-
sätze eine Gesamtgeschichte des deutschen Strafrechts vorangehen zu lassen, nicht eine
Geschichte in dem Sinne, dass man darin eine vollständige Aufspeicherung aller jemals
gewesenen Strafrechtsnormen zu erwarten hätte, wohl aber eine Geschichte, welche es
unternimmt, die jedes Mal wesentlichen Momente der Entwicklung scharf und zugleich
genügend konkret und im Zusammenhange mit, der allgemeinen Kulturgeschichte her-
vortreten zu lassen. Und nicht nur eine Geschichte des Rechtes selbst war notwendig; es
musste hinzukommen eine Geschichte der Philosophie des Strafrechts (der Strafrechts-
theorien); denn die Philosophie gehört zur Geschichte; sie wirkt gewissermaßen wie ein
Brennspiegel; indem sie die Wirklichkeit und ihre Bedürfnisse in allgemeinen Schlussfol-
gerungen reflektiert, lässt sie diese in der Zukunft zünden, und gerade in der Geschichte
des Strafrechts ist die Wirksamkeit der philosophischen Betrachtung eine besonders be-
deutsame gewesen und wird es voraussichtlich auch in der Zukunft sein. Eine derartige
geschichtliche Betrachtung aber wird die einzelnen Strafrechtstheorien nicht nur nach
ihrer abstrakten Richtigkeit, sondern auch nach ihrer Stellung zu den jedes Mal beson-
ders wichtigen Bedürfnissen des praktischen Kulturlebens zu würdigen haben. Freilich
5
A. Vorwort zur Originalausgabe
kann die Frage aufgeworfen werden, ob es schon jetzt im Hinblick auf die stets wei-
ter fortschreitende Detailforschung, namentlich auf dem Gebiete des deutschen Rechts
angezeigt sei, eine allgemeine Geschichte des deutschen Strafrechts zu schreiben, und
gewiss wird eine solche allgemeine Geschichte der Lücken und Mängel genug aufzuwei-
sen haben. Aber von Zeit zu Zeit ist meines Erachtens es wünschenswert, eine solche
allgemeine Geschichte eines Zweiges unseres Rechts zu unternehmen, weil ohne dies die
Ergebnisse der historischen Detailforschung für die Lösung wichtiger Einzelfragen des
geltenden Rechtes, für die allgemeine Anschauung der Praktiker und der für die Ge-
setzgebung massgebenden Kreise im Grossen und Ganzen ungenützt bleiben. Über die
Ausführung einer solchen allgemeinen Geschichte im Einzelnen wird sich streiten lassen.
Vollständigkeit ist da. wenn nicht unter der Masse
Seite XXIII
der Einzelnheiten die leitenden und fruchtbringenden Gesichtspunkte verloren gehen
sollen, unmöglich. Ein gewisser Takt, über den sich sehr streiten lässt, muss da den Aus-
schlag geben und der Schriftsteller sich darein ergeben, wenn er es etwa so unglücklich
angefangen hat, dass die Auswahl Vielen miss-fällt und nur sehr Wenigen zusagt. Ver-
langen kann man nur, dass der Schriftsteller die Einzelnheiten in ausreichendem Masse
kenne, dass er überall aus den besten Quellen und nicht lediglich aus den Werken, welche
über die Geschichte geschrieben sind, schöpfe. Dies letztere m. E. unumgängliche Erfor-
dernis brachte hier für meine Kräfte auch eine Beschränkung, die Beschränkung auf die
Geschichte des deutschen Strafrechts, den Aus-schluss der Geschichte selbst stammver-
wandter Kulturvölker, den Ausschluss auch der Geschichte des nordischen Strafrechts,
wenngleich hier und da auf auswärtiges Recht und auswärtige Rechtsentwicklung auf-
merksam gemacht werden durfte.*)1 Eine kurze Geschichte des römischen Strafrechts,
welches ja zu einem sehr erheblichen Teile bei uns rezipiert ist, war erforderlich, und ich
habe sie der hergebrachten Weise entsprechend — ungeachtet einer abstrakten Betrach-
tung zufolge in einer Geschichte des deutschen Strafrechts mit dem Deutschen begonnen
werden und das rezipierte Fremde nur einen Inzidentpunkt bilden müsste — auch aus
dem Grunde vorangeschickt, weil die Rezeption des römischen Rechts, wenigstens der
mittelbare Einfluß desselben sehr früh beginnt, so früh, dass eine Geschichte des reinen
deutschen Strafrechts nach den uns zu Gebote stehenden Mitteln nur einen kaum genau
genug abzuscheidenden Zeitraum erfüllen würde. Überall hat mir bei meiner Arbeit —
und so wird es auch bei der Fortsetzung der Fall sein — die „liebevolle Hingabeän den
Stoff als Ideal vorgeschwebt. Es war mir nicht darum zu tun, neue und blendende Re-
sultate zu gewinnen. Ich hielt es bei dieser Arbeit schon für lohnend die von Anderen
gewonnenen Resultate in einer allgemein zugänglichen, nicht allzu abschreckend gelehr-
ten und abstrakten Darstellung in weiteren
Seite XXIV
Kreisen, möglicher Weise — was die Geschichte des Strafrechts betrifft — auch in gewis-
sem Umfange Nichtfachmännern, vielleicht überhaupt manchem Gebildeten nutzbar zu
1In der Geschichte der Strafrechtstheorien sind auch nur diejenigen ausländischen Schriftsteller be-
rücksichtigt, bei denen nachweisbar ein wirklicher Einfluss auf die deutsche Literatur stattgefunden
hat.
6
machen; was ja allerdings nicht ausschliesst, dass ich gelegentlich auf eine neue Auffas-
sung kommen könnte. Immer aber war ich der Meinung, dass das Neue, welches haltbar
ist, in der Rechtstheorie nur eine Fortbildung des Früheren, nicht etwas absolut Neu-
es,Ueberraschendes sein werde. Aus diesem Gesichtspunkte betrachte ich auch meine
eigene Auffassung des Grundprinzips des Strafrechts. Sie fast vielleicht nur das, was aus
den früheren Theorien haltbar erschien, unter einem allgemeinen Gesichtspunkt zusam-
men und ist in diesem Betrachte nicht original. Aber auf Originalität kann es bei einer
zusammenfassenden Arbeit nicht ankommen, bei welcher der Einzelne ohnehin empfin-
det, dass sein Anteil an dem grossen Ganzen der wissenschaftlichen Entwicklung doch
nur ein verschwindend kleiner sein kann, und bei welcher er meines Erachtens daher
auch von vornherein die relative Wahrheit, den haltbaren Kern abweichender Ansichten
so weit als möglich anzuerkennen bestrebt sein wird. Dieser Standpunkt der relativen
Berechtigung wird dann aber auch zu Gunsten dieser ganzen Arbeit angerufen werdenkönnen, deren Verfasser die besonderen Vorzüge anderer umfassender Arbeiten auf dem
Gebiete des Strafrechts, insbesondere des v. Holtzendorffschen aus Einzelbeiträgen be-
stehenden Handbuchs, des neuen Systems Hälschner’s gern anerkennt. Die vorhandenen
Lehrbücher von Berner, Schütze, Hugo Meyer und v. Liszt verfolgen andere Zwecke und
machen aus diesem Grunde die hier unternommene Arbeit nicht überflüssig.
Göttingen, im März 1882.
L. v. Bar.
Seite XXV
7
A. Vorwort zur Originalausgabe
8
B. Übersicht
Übersicht I. Geschichte des deutschen Strafrechts. A. Das römische Strafrecht. §. 1. Ver-
schiedene Ausgangspunkte des Strafrechts. Rache, Zwang durch die Autorität, Religion.
§§. 2. 3. Bedeutung des sog. sacralrechtlichen Elements des röm. Strafrechts; frühes Zu-
rücktreten der Privatrache; nachweisbare Reste der letzteren. §. 4. Die öffentliche Strafe;
Begriff der Perduellio; die Multae irrogatio durch die Plebs. §§. 5. 6. Unbestimmtheit
des röm. öffentlichen Strafrechts; Abgrenzung von Recht und Moral; die Rechtssphä-
re des Individuums im Ver-hältniss zur öffentlichen Gewalt; die Rechtswissenschaft; die
realen Gründe der Mangelhaftigkeit des röm. Strafrechts. §. 7. Charakter der Strafge-
setze der XII Tafeln. §. 8. Strafgewalt der Hausväter über Kinder, Ehefrauen, Sklaven,
die Nota censoria; die Infamie im Privatrecht, die Popularklagen, als Ergänzung des öf-
fentlichen Strafrechts. §. 9. Die Strafgesetzgebung der späteren republikanischen Zeit.
§. 10. Strafensystem dieser Zeit; aristokratisch-milder Charakter desselben; Entziehung
und Schmälerung politischer Rechte. §. 11. Reale Gründe des späteren Umschwunges;
das militärische Strafrecht; das Strafrecht in den Provinzen; Härte des öffentlichen Straf-
rechts gegen Sklaven; das Exil, spätere Bedeutung desselben; grobe Verbrechen in den
höchsten Kreisen zur Zeit Cäsars und der ersten Kaiser. §. 12. Die einzelnen Veränderun-
gen des Strafensystems in der Kaiserzeit; Relegation und Deportation; Wiederaufnahme
der Todesstrafen; körperliche Züchtigungen; Freiheitsstrafen (?); Verwendung der Ver-
urteilten zu öffentlichen Arbeiten; Verurteilung zur Bergwerksarbeit n. s. w., zum Gla-
diatorenspiel; Unfähigkeitserklärung- in Bezug auf öffentliche Ämter, Gewerbebetrieb.
§. 13. Nebenstrafen: Infamie, Vermögensconfiscationen, die Delatoren. §. 14. Charakteri-
sierung der mit Strafe bedrohten Handlungen; Schutz des Privatrechts, der Sittlichkeit;
Privatdelikte, Versuch und Teilnahme. §. 15. Das Crimen majestatis. §. 16. Die Chris-
tenverfolgungen, Zusammenhang derselben mit dem Strafrechte und dem öffentlichen
Rechte d. röm. Staates überhaupt. §. 17. Zauberei und Wahrsagen. §. 18. Praktische
Wirkungen und Handhabung des Strafrechts; die Beamtenjustiz; Verfolgung der Ver-
brechen von Amtswegen. §. 19. Die Jurisprudenz, ihre Bestrebungen, ihre dauernden
Erfolge; Gründe der Mangelhaftigkeit der röm. Strafrechts-Jurisprudenz im Vergleich zu
der Blüte der Wissenschaft des Privatrechts. §. 20. Die spätere Kaiserzeit;
Seite XXVI
Einfluß des Christentums; Strafgesetze zum Schutze der Kirche und gegen die Übergriffe
der letzteren; Reflex der Not des Staates in den Strafgesetzen; Todesstrafen begründet
durch die eindringenden Ideen und Auffassungen des mosaischen Strafrechts; Willkür-
lichkeiten; der dauernde Gewinn aus dem röm. Strafrecht für die spätere Kultur . . . S.
1-50.
B. Das älteste deutsche Strafrecht. §. 21. Die Rache des Verletzten als Grundlage des
ältesten deutschen Strafrechts; Öffentliche Strafe nur als Rache des Gemeinwesens gegen
9
B. Übersicht
unmittelbare Verletzung oder Gefährdung des letzteren selbst; die Compositio als Bei-
legung der Rache (Fehde); Friedensvermittelung der Gemeinde; der Fredus, als Gebühr
ursprünglich für den vermittelten Frieden; die Friedlosigkeit der nordischen Rechte; das
Verbrechen nach germanischer Auffassung nicht formeller Friedensbruch, sondern ma-
terielle Rechtsverletzung (Sittlichkeitsdelikte ?). §. 22. Bruch des besonderen Friedens,
Dingfriedens, Königsfriedens u. s. w. §. 23. Einzelne besonders wichtige Delikte; Tarife der
Kompositionen. §. 24. Besondere Berücksichtigung des sog. objektiven Moments des Ver-
brechens im älteren deutschen Strafrechte; das sog. subjektive Moment; Absicht, Fahr-
lässigkeit (zufällige Verletzung); Qualifikationsgrund der Heimlichkeit der Begehung. §.
25. Eingreifen der königlichen Gewalt durch öffentliche Strafen unter den Merowingern
und Karolingern; die Harmiscara; Bemühungen die Fehden zu unterdrücken; der Ban-
nus regius als Ergänzung des Strafrechts. §. 26. Die Strafgewalt der Familienhäupter,
besonders gegen Unfreie; die Schuldknechtschaft als Folge der Verpflichtung zur Zahlung
hoher Kompositionssummen; tatsächliche Verwandlung der Rache in Strafe gegenber den
unteren und unbemittelten Volksklassen; Herabdrückung der grossen Masse des Volkes
in den Stand der Unfreien und Einfluss dieser Tatsache auf das Strafrecht.......S. 51 - 70.
C. Das Strafrecht der christlichen Kirche. §. 27. Das Recht der Ausschliessung von
der Gemeinschaft als Grundlage des kirchlichen Strafrechts. Die Pönitenzen als freiwillig
übernommene Pflichten und Leistungen den Ausschluss abzuwenden; die Beichte; der
Zweck der Busse; die Besserung des Schuldigen; Inhalt der Bussordnungen. §. 28. Straf-
recht der Kirche gegen ihre Diener; anderer Charakter dieses Strafrechts; Abschreckung
Anderer; Annäherung an das weltliche Strafrecht; Einfluss der Kirche auf das staatliche
Strafrecht dadurch, dass die Kirche gewisse Handlungen ihrerseits für strafwürdig erklärt.
§. 29. Kirchliche Gerichtsbarkeit über weltliche Delikte der Geistlichkeit. Verwendung
des kirchlichen Zwanges zu Staats-, des staatlichen Zwanges zu kirchlichen Zwecken unter
den fr%�nkischen K^nigen. Vertretung der staatlichen Strafe durch die kirchliche Strafe.
Delicta mixti fori. §.30. Einfluss des kirchlichen Asylrechts; weltliche Gerichtsbarkeit im
Besitze der Kirche. §. 31. Veränderungen und Schwankungen des kirchlichen Strafrechts.
Poenae medicinales und Poenae vindicativae. Die Fehler des kirchlichen Strafrechts. §.
32. Das Verbrechen der Ketzerei. Nachtheile und Vorteile des kirchlichen Einflusses auf
das weltliche Strafrecht.......S. 71 - 86
D. Das Strafrecht des späteren Mittelalters. §.33. Fortbestand der früheren Grundla-
gen des Strafrechts. Standesunterschiede. Fehde und Selbstläufe in ihrem Einflusse auf
das Strafrecht. §. 34. Die Landfrieden; ihre allgemeine strafrechtliche Bedeutung; Land-
friedensbruch. Bruch des
Seite XXVII
gelobten Friedens. Der Verband unter einem Herrn; der Stadtverband; der Stadtfrie-
den. §. 35. Die wichtigsten Deliktsbegriffe, welche eine Umbildung erfahren. Der Verrat;
Mord; Totschlag; Körperverletzung; der Bruch des Hausfriedens; die Sittlichkeitsdelikte;
Polizeigesetee. §. 36. Die allgemeinen strafrechtlichen Grundsätze, Prinzipiell gleicher
strafrechtlicher Schutz der Freien und Unfreien; Unterschiede zwischen Bürgern und
Nichtbürgern. Anstiftung-, Beihilfe, Versuch, Berücksichtigung besonderer Ueberlegung
("vorsate"); Streben der inneren Schuld gerecht zu werden; moralisirende Tendenzen;
Anwendung des mosaischen Strafrechts. §. 37. Einwirkungen des Beweisrechts; Präsum-
10
tionen der Schuld; Durchgreifen nach polizeilichen Tendenzen und auf der Basis roher Ab-
schreckung; willkürliche harte Strafen. §. 38. Das professionelle Gaunerthum im Kampfe
gegen das geldstolze Bürgertum; Eindringen der Idee der Talion aus dem mosaischen
Strafrecht; Härte und grausames Raffinement der Strafen; die Ehrenstrafen, Landes-
verweisungen, Vermögensconfiscationen; Steigerung des Verbrechertums gerade durch
diese Strafen. §. 39. Demoralisierende Wirkungen von Nebenumständen. Unterschiede
der Bestrafung bei handhafter Tat; die Verfestung (Acht); die Taidigungen; die Justiz als
Erwerbsquelle; das Eichten nach Gnade; Fürbitten; die Befugnisse des Strafrichters. Un-
sicherheit undWillkür des Verfahrens, Unwissenheit und Willkür der Schöffen. Klagen
über die Misstände zu Ende des XV. Jahrhunderts; der Beschluss des Freiburger Reichs-
tags von 1498 über Vornahme einer Reform der Strafjustiz. Möglichkeit unmittelbarer
Verwendung eines Teiles des römischen Strafrechtes ....... S. 86 - 111.
E. Das Strafrecht seit der Rezeption des römischen Rechts. §. 40. Gegensätze des
römischen und des deutschen Strafrechts. Die Vermittelungsarbeit der italienischen Ju-
risprudenz; die Hauptwerke der letzteren. §. 41. Die populäre, die Rezeption der italie-
nischen Jurisprudenz vermittelnde deutsche Literatur; deutsche Gesetzgebungsarbeiten
auf Grundlage der italienischen Jurisprudenz (des römischen Rechts). Die Bambergi-
sche Halsgerichtsordnung des Freiherrn Joh. v. Schwarzenberg. Verhältnis derselben zur
gelehrten Jurisprudenz. §. 42. Strafensystem der Bambergensis (Grausamkeit?). Gel-
tung lokaler Gewohnheiten; bürgerlich zu strafende Fälle. Bestrafung nach Analogie.
Grundauffassung des Strafrechts in der Bambergensis; besondere Vorzüge derselben. §.
43. Anerkennung der Bambergensis auch ausserhalb des Fürstentums Bamberg; die sog.
Brandenburgica von 1516. Aufnahme der Arbeiten zur Reform der Strafjustiz seitens der
Reichsgewalt 1521 auf Grundlage der Bambergensis; dabei zu überwindende Schwierig-
keiten. Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karl V. von 1532; die salvatorische Klausel
derselben. §. 44. Plan und Einteilung der P. G. 0.; Ausgaben derselben; Geltung der P.
G. 0. in den einzelnen Territorien, verschiedenes Verhalten der Reichsstände. Wirkungen
der P. G. 0. in Süddeutachland, in Norddeutschland. §. 45. Einfluss der Kircheninfor-
mation auf die P. G. 0. Ansichten der Reformatoren über das Strafrecht; protestanti-
sche Ketzerrichter. §. 46. Die kriminalistische Literatur des XVI. Jahrhunderts; die Pra-
xis der Fakultäten. und die Consiliensammlungen. §. 47. Die Herrschaft der Theologie
in. Deutschland; die Hexenprozesse; Einfluss insbesondere der bigotten protestantischen
Geistlichkeit auf das Strafrecht. §. 48. Die Stärkung des Fürstenabsolutismus durch die
protestantische Geistlichkeit; Strafgesetze
Seite XXVIII
des Fürstenabsolutismus in den einzelnen Territorien. §. 49. Das Majestätsverbrechen;
Eingreifen der landesfürstlichcn Allgewalt auch in die Führung und Entscheidung ein-
zelner Strafsachen. §. 50. Handel mit der Strafjustiz im XVII. und XVIII. Jahrhundert.
§. 51. Stillstand der Gesetzgebung; Abhülfe und Willkür der Praxis nur Umgehung der
grausamen Strafen. Die sächsischen Juristen: Berlich und Carpzov. §. 52. Die Milde-
rungsgründe der Juristen; die allmählige Verwandlung der verstümmelnden Strafen in
Freiheitsstrafen; die ersten Zuchthäuser im XVII. Jahrhundert; der Einflnss des Be-
weisrechts; die Tortur; die Verdachtsstrafe. §. 53. Die Juristen als Gesetzgeber für den
einzelnen Fall, besonders im XVIII. Jahrhundert. §. 54. Die allmählige Beseitigung der
11
B. Übersicht
Hexenprozesse, die Aufklärung besonders seit dem Anfang des XVIII. Jahrhunderts;
Emanzipation der Jurisprudenz von der Theologie und von der Anwendung des mosai-
schen Rechts. Thomasius; Becearia. Die Glaubensfreiheit. Einfluss des sog. Naturrechts
auf das Strafrecht. Die Zurechnungslehre und insbesondere die Lehre von der morali-
schen Freiheit. Fortschritte der Wissenschaft. Die Kommentare zur P. G. 0. von Kress
und J. S. F. v. Boehmer. §. 55. Behandlung des Strafrechts in den Vorlesungen der Uni-
versitäten. Die ersten systematischen Darstellungen (Kompendien). Das Verlangen nach
einer neuen Strafgesetzgebung. §. 56. Der Codex Maximilianeus Bavaricus von 1751;
die sog. Theresiana von 1769; die Einzelgesetze Friedrich’s II. von Preussen. §. 57. Das
österreichische Gesetzbuch Joseph’s II. von 1787. §. 58. Das Strafrecht des allgemeinen
preussischen Landrechts von 1794. §. 59. Das österreichische Gesetzbuch von 1803. §.
60. Das ältere französische Strafrecht; Ideen und Gesetze der Revolutionszeit; der Code
penal von 1810. §. 61. Die neue Wendung der deutschen Strafrechtswissenschaft am En-
de des XVIII. Jahrhunderts; Grolmann und Feuerbach; die Inangriffnahme der Reform
des Gefängniswesens, Anregungen durch den Engländer Howard. §. 62. Feuerbach als
Gesetzgeber in Bayern; das bayerische Kriminalgesetzbuch von 1813. §. 63. Die Strafge-
setzbücher der einzelnen deutschen Staaten bis zum Jahre 1848. Einfluss der politischen
Bewegung des Jahres 1848; die deutschen Grundrechte; Beseitigung und bezw. Wieder-
einführung der Todesstrafe in mehreren Staaten, §. 64. Die preussische Gesetzgebung.
Reaktion und Demagogenverfolgung. Die Vorarbeiten zu einem neuen preussischen Ge-
setzbuche; das preussische Strafgesetzbuch von 1851. §. 65. Gesetzbücher auf Grundlage
des preussischen Strafgesetzbuchs; das bayerische Strafgesetzbuch von 1861. §. 66. Die
Bestrebungen zur Herbeiführung grösserer Rechtseinheit in Deutschland; die Ereignis-
se des Jahres 1866 und die Errichtung des norddeutschen Bundes 1867. Der Entwurf
zu einem norddeutschen Strafgesetzbuche von 1869. §. 67. Weitere Bearbeitung dieses
Entwurfs; das Strafgesetzbuch für den norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870; das Straf-
gesetzbuch für das deutsche Reich vom 15. Mai 1871. §. 68. Die Strafgesetznovelle von
1876; andere Zusatzgesetze und Strafgesetze des Reichs. §. 69. Die deutsche Strafrechts-
wissenschaft im XIX. Jahrhundert......... S. 112 - 198.
II. Geschichte der Strafrechtstheorien.
A. Das griechische und römische Altertum. §. 70. Einleitung. Praktische Bedeutung der
Strafrechtstheorien (Einteilungen). §. 71. Die Anfänge der Reflexion; die Sophisten. §.
72. Sokrates, Die Ansichten
Seite XXIX
Plato’s. §. 73. Aristoteles. §. 74. Die Epikuräer, die Stoiker; die Skeptik: die Römer:
Cicero, Seneca, die Juristen; der Neuplatoniker Hierokles .......S. 190 - 213.
B. Die Strafrechtsphilosophie des Mittelalters. §. 75. Ursprüngliches Verhalten des
Christentums zu Staat und Strafe. Aussprüche des neuen Testaments. Das Christen-
tum als herrschende Staatsreligion. §. 76. Die Zusammenfassung der mittelalterlichen
Ansichten bei Thomas Aquinas, Die Antipapisten........S. 214 - 218.
C. Die Strafrechtstheorien der neueren Zeit. §. 77. Hugo Grotius. §. 78. Thomas Hob-
bes. §. 79. Spinoza. §. 80. Pufendorf. §. 81. Locke; Leibnitz; Sam. v. Cocceji; Thomasius;
Wolft; Rousseau. §. 82. Beccaria ("dei delitti e dellc pene"); Filangieri. §. 83. Globig und
12
Huster. §. 84. Servin (Notwehrtheorie); Wieland. §. 85. Kant’s Vergeltungstheorie. §.
86. Fichte. §. 87. Grolmann’s Specialpräventionstheorie. §. 88. Feuerbach, Bentham. §.
89. Die Notwehrtheorie Romagnosi’s: Oerstedt. §. 90. Bauer’s Warnungstheorie. §. 91.
Reaktion gegen Feuerbach’s Abschreckungstheorie: G. E. Schulze; Steltzer. §. 92. Besse-
rungstheorie auf Grundlage des Determinismus (Groos). Die Krause’sche Rechtsphiloso-
phie, Ahrens, Röder. §. 93. Die Wiedererstattunngstheorie Welckers: Hepp’s Theorie der
bürgerlichen Gerechtigkeit. §. 94. Wandlungen des absoluten Strafrechtsprinzips: C. S.
Zachariä; Henke (Besserungstheorie). §. 95. Kombinationen des absoluten Prinzips mit
relativen Zwecken der Strafe: Rossi, Haus, Ortolan, Gabba, v. Preuschen, Henrici, Mohl,
Mittermaier, v. Wieck. §. 96. Herbart’s Vergeltungstheorie des ästhetischen Urteils; Gey-
er. §. 97. Hegel‘s Theorie der Negation des Unrechts. §. 98. Neuere theologisierende Rich-
tungen: F. ,J. Stahl (Jarcke), v. Linck, J. de Maistre; neuere Theologen:Schleiermacher,
Daub (Rothe). §. 99. Fortbildung der Hegel’schcn Theorie: Trendelenburg, Abegg, Heffter
(Freytag), Köstlin, Merkel, Hälschner, Berner, Kitz. §. 100. Kombination der Hegel’schen
mit der Fichte’schen Theorie: Heinze. §. 101. v. Kirchmann; Schopenhauer; Dühring; E.
v. Hartmami: v. Liszt. §. 102. Binding’s Theorie der Folgen des Ungehorsams gegenüber
der "Norm". Laistner S. 219-310.
D. Die Ergebnisse. Die Theorie der sittlichen Missbilligung (Reprobation). §. 103. DieMängel der absoluten und der relativen Theorien. Berichtigung der Hegel‘schen Theo-
rie. Die Moral als Wurzel des Rechtes. §. 104. Das sittliche, insbesondere das sittlich
missbilligende Urteil als notwendiger Bestandteil der Moral. Die Moral ein Ergebniss
der Geschichte. Die Missbilligung der Tat und per consequentiam auch des Täters. Die
möglichen und berechtigten Ausdrucksweisen der Missbilligung. Die Vernichtung ohne
weiteren Zweck: der st%�rkste Ausdruck der Missbilligung. Die Ausdrucksweisen der
Missbilligung (Strafen) in der Geschichte. Die Missbilligung keine Vergeltung. Die Be-
deutung des strafrechtlichen Urteils an sich. Verhältnis von Uebel und Missbilligung.
Die Strafe keine Peinigung, aber auch nicht in erster Linie Erziehungsmittel; die Strafe
keine Leistung. §. 105. Die Missbilligung in der Privatrache, in der staatlichen Strafe; die
Strafe ihrem Begriffe nach ein Recht der Gesellschaft, nicht des Staates; Konsequenzen
daraus, insbesondere die Notwendigkeit einer subsidiären Privatanklage. §. 106. Zusam-
menfassung
Seite XXX
der Resultate; die Idee der Missbilligung vertreten auch in den Schriften anderer Juristen
und Philosophen (Leibnitz, Montesquieu, Lieber); die Auffassung Hugo Meyer’s. Begriff
des Verbrechens. Zulässige Strafmittel. §. 107. Das Prinzip der Gerechtigkeit im Straf-
rechte; das geschichtliche Moment. §. 108. Die strafbaren (mit öffentlicher Missbilligung
zu belegenden) Handlungen. Prinzip der Sparsamkeit der Strafen. Zweckmässigkeit und
Gerechtigkeit im Strafrechte. Strafrecht und Moral im engeren Sinne. §. 109. Zivilunrecht
und strafbares Unrecht, Zivilzwang und Strafe. §. 110. Die Polizeidelikte. Charakteris-
tik, Verhältnis zu den Kriminaldelikten. §. 111. Die Disziplinarstrafe; die Ordnungs-
strafe. Charakteristik des Disziplinarstrafrechts gegenüber dem öffentlichen Strafrecht.
Verhältnis der öffentlichen Strafjustiz zur Handhabung der Disziplinargewalt. §. 112.
Zusammenfassung der Resultate; sprachliche Bemerkung über das Wort ßtrafe"........S.
311-361.
13
B. Übersicht
14
I. Geschichte des deutschen Strafrechts
Seite 1
Bar, Strafecht I.
15
B. Übersicht
Seite 2
16
C. Das römische Strafrecht
Seite 3
Invernizzi: De publicis et criminalibus judiciis Romanoruin, 1787. Leipziger Abdruck
1846. - Welcker: Die letzten Gründe von Recht, Staat und Strafe, 1813, S. 535 ff. -
Abegg: De antiquissimo Romanorum jure criminali, 1823. - Jarcke: Versuch einer Dar-
stellung des censorischen Strafrechts, 1824. - Köstlin: Die Lehre von Mord und Totschlag,
Th. I, 1838, das altrömische Parricidium. - Osenbrüggen: Das altrömische Parricidium,
1840.- (Geib: Geschichte des römischen Criminalprocesses, 1842.) - Platner: Quaestiones
de jure criminum Romano, praesertim de criminibus extraordinariis, 1842. - Rein: Das
Criminalrecht der Römer von Romulus bis auf Justinian, 1844. - Laboulaye: Easai sur
les lois criminelles des Romains concernant la responsabilite des magistrats, Paris 1845.
- Du Boys: Histoire du droit criminel des peuples anciens, Paris 1845, S. 237ff. - Walter:
Geschichte des römischen Rechts, 2 Bde., 3. Aufl., 1860. - Rudorff: Römische Rechts-
geschichte, 2 Bde., 1857, 1859. - v. Holtzendorff: Die Deportationsstrafe im römischen
Altertum, 1859 (Teil des grösseren Werkes desselben Verfassers über die Deportationss-
trafe). - Köstlin: Geschichte des deutschen Strafrechts im Umriss, herausgegeben von
Gessler, 1859, S. 1-47. - Geib: Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Bd. 1, 1861, S. 7-123.
- Henriot: Moeurs juridiques et judiciaires de l’ancienne Rome, 3 Vols., Paris 1863-1865. -
v. Ihering: Geist des römischen Rechts, zitiert nach der 3. Aufl., Bd. 1, S. 252ff. - v. Holt-
zendorff: Handbuch des deutschen Strafrechts, I., 1871, S. 16ó39. - Mommsen: Römische
Geschichte. - Mommsen: Römisches Staatsrecht, 2 Bde., zitiert nach der 2. Aufl., 1876,
1877. - v. Wächter: Beilagen zu Vorlesungen über das deutsche Strafrecht, 1, 1877, S.
56-77. - A. Pernice: Antistius Labeo, das röm. Privatrecht im 1. Jahrhundert der Kaiser-
zeit, II., 1878. - Padeletti: Lehrbuch der römischen Rechtsgeschichte, deutsche Ausgabe
von v. Holtzendorff, 1879. - (Zumpt: Das Kriminalrecht der römischen Republik, 2 Bde.
in 4 Abtheilungen, 1865 ff., ist wesentlich processualen Inhalts.) - (Vgl. übrigens auch:
Thonissen, Etudes sur l’histoire du droit criminel des peuples anciens, 2 Vols., Paris
1869, und Thonissen: Le droit penal de la rÈpublique Athénienne précédé d’une Ètude
sur le droit criminel de la Grece legendaire, Bruxelles et Paris, 1875.)
Seite 4
§. 1. Ebenso wie heut zu Tage noch zwei Hauptansichten über das Wesen des Straf-
rechts sich gegenüberstehen, von denen die eine die Strafe als Selbstfolge des Unrechts
betrachtet, die andere dagegen die Strafe rechtfertigt durch einen in der Zukunft zu er-
reichenden Zweck, so weist der Ursprung des Strafrechts auch auf eine doppelte Wurzel
zurück: auf das Princip der Rache1 wegen eines verletzten Rechtes und auf das Prin-
1Es wird nicht zu bestreiten sein, dass hierin eine freilich bei fortschreitender Cultur immer mehr
zurücktretende Wurzel des Strafrechts liegt. Vgl. Thonissen II. S. 66ff., S. 258 über die Blutrache
bei den Juden. Bei den Arabern sind die drei Haupttugenden: Tapferkeit, Gastfreiheit und Eifer der
Rache. Nach der Vorstellung der Griechen ruft das Blut des Getödteten um Rache, bis die Verwandten
17
C. Das römische Strafrecht
cip der Unterordnung des einzelnen Menschen unter eine höhere Autorität, sei es der
Familie oder eines Stammeshauptes oder der Gemeinde oder des Staates selbst, einer
Autorität, welche eine bestimmte Ordnung zu mehr oder minder bestimmten oder be-
wussten Zwecken aufrecht zu erhalten bestrebt ist. Diese beiden Principien müssen sich
im Laufe der Geschichte bei den verschiedenen Völkern in sehr verschiedenartiger Weise
kreuzen und combiniren. Durch die leicht schrankenlose Rache der Einzelnen wird die
Autorität der Ordnung erschüttert, und diese sucht daher jene einzuschränken. Aber sie
kann das nicht anders, als dadurch, dass sie in gewissem Umfange die Rache der Einzel-
nen in ihren Schutz nimmt und für den Einzelnen ausübt; denn der natürliche Trieb der
Rache lässt sich nicht ohne Weiteres beseitigen. Und es giebt auch Fälle, in denen die
Autorität sich unmittelbar selbst angegriffen erachten muss, in denen sie selbst also dem
Einzelnen unmittelbar als rächende Feindin gegenüber tritt, in denen sie den Einzelnen
für ihren Feind erklärt, und dies unmittelbar auf die Autorität sich selbst beziehende
Strafrecht kann der Ausübung nach andererseits wieder jedem Einzelnen, jedem Beliebi-
gen aus dem Volke mitüberwiesen werden. Die öffentliche Autorität ist entweder noch zu
schwach, um selbst unbedingt durch ihre Organe die Bestrafung auszuüben, oder aber
sie hat den unmittelbaren Unwillen des Volkes über die Schandthat zu respectiren oder
sie beabsichtigt, gerade diesen Unwillen sich in besonders wirkungsvoller Weise nutzbar
zu machen - wobei es sich dann von selbst versteht, dass wer in solcher Weise als Straf-
vollstrecker der Gesammtheit auftritt, die That auf Erfordern hinter-
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her zu rechtfertigen hat, ebenso wie derjenige, der Rache ausübt, deshalb zur Rechen-
schaft gezogen werden kann.2
Dazu kommt noch, dass die Rache nicht sowohl um eines egoistischen Triebes ausge-
übt wird, denn vielmehr als Dienstleistung für eine höhere Idee erscheint3 und dass sie
daher in Verbindung gesetzt ward mit den Vorschriften der Religion. Das Verbrechen
verletzt die Götter, als die Hüter des Rechts und der Sitte, und die Strafe, welche den
Schuldigen vernichtet, reinigt des Vaterlandes heiligen, durch das Verbrechen entweihten
Boden4 und besänftigt den Zorn der Götter. So erhält die Strafe in gewissem Umfange
eine religiöse Bedeutung und Färbung, und so gewinnen die Priester Einfluss auf die
Strafe. Man beruhigt sich dabei, wenn sie die Handlung milder beurtheilen,versichern,
dass der Zorn der Götter auf andere Weise auch als durch Vernichtung des Schuldigen
abgewendet werden könne5, und umgekehrt findet der Rache Uebende eine moralische
den Mörder oder Todtschläger zur Rache ziehen. Unterlassen sie es, so verfolgt sie schwerer Fluch.
Vgl. Meier u. Schömann, der attische Process. S. 280.- Cicero Top. c. 23: "Natura partes habet duas,
tuitionem sui et ulciscendi jus."
2Vgl. namentlich über den Zusammenhang der Coercitio und Judicatio der römischen Magistrate und
das anfängliche Aufgehen der Judicatio in der Coercitio: Mommsen, röm. Staatsrecht I. S. 133 ff.,
153 ff.: -die Judicatur ist nichts als eine beschränkte und regulirte Coercition"
3Vgl. bezüglich der Anschauungen der Inder die Aussprüche Manu’s, mitgetheilt und übersetzt bei
Thonissen, I. S. 9, 10. - Vgl. über diese Idee bei den Israeliten 4. Mos. 35, 33.
4Nach den Vorstellungen der Griechen und der Orientalen muss der Mörder wenigstens aus dem Lande
gejagt werden, dessen Boden von dem Blute des Getödteten feucht geworden ist. Vgl. Odyssee XV,
272.: XXXXXXXXXXXX"
5Vgl. über die Asylstädte bei den Israeliten, welche im Falle nicht-beabsichtigter Tödtung den Schuldi-
18
Stütze und bei Anderen auch leichter reelle Hülfe, wenn die Vertreter der Gottheit eine
Handlung für unbedingt fluchwürdig erklärt haben. Es giebt aber auch Handlungen, die
direct als ein Vergreifen an dem Heiligthum der Götter, als eine Verletzung der diesen
geschuldeten Pflichten erscheinen: hier übt das Priesterthum selbst oft unmittelbar Ra-
che, und wo das Priesterthum das gesammte Gemeinwesen zu beherrschen anfängt, ist
es leicht begreiflich, dass diese Pflichten den ersten Rang einnehmen, dass in ihren Kreis
aber auch Vieles gezogen wird, was andere Völker nur als Verletzung des menschlichen
oder bürgerlichen Rechts betrachten oder überhaupt gar nicht für strafwürdig halten.
§. 2. Auch in Rom begegnen uns, so weit unsere Nachrichten zurückreichen, diese
Elemente des Strafrechts.
Sehr stark tritt äusserlich das religiöse Element hervor. Sogleich das Wort Supplicium
- Strafe und besonders Todesstrafe bedeutend -
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ist sacralen Ursprungs. Es bezeichnet ursprünglich Sühnopfer, ein Opfer mit Flehen um
Gnade und ist abzuleiten von sub und placare, besänftigen6, und nicht selten werden,
wenn ein Verbrechen begangen ist, noch besondere Sühnopfer gebracht, den Zorn der
Götter zu beruhigen, und sacer7 heisst der Verbrecher, der aus dem Verbände der Götter
und Menschen ausgestossen für vogelfrei erklärt wird, so dass Jedermann, ihn tödtend,
noch ein den Göttern wohlgefälliges Werk verrichtet.8 Leges sacratae heissen ferner später
die Gesetze, welche die Todesstrafe in nachdrücklichster Weise gegen Diejenigen verord-
neten, welche die geheiligten Rechte der Plebs, beziehungsweise des einzelnen Bürgers,
anzutasten wagen, so dass auch Derjenige sacer genannt wird "quem populus judieavit".9
Endlich die von Staats wegen erfolgende Hinrichtung geschieht unter Gebräuchen, welche
stark erinnern an den Göttern dargebrachte Opfer.10
Dennoch ruht selbst das ältere römische Strafrecht nicht auf theokratischer Grundla-
ge. Nur die Strafe wird durch den Fluch der Götter geschärft, der Einzelne durch diesen
Fluch zur Vernichtung des Verbrechers aufgefordert oder doch wenigstens zur Aufhebung
der Gemeinschaft mit dem Verbrecher.11 Die Bestimmung aber der charakteristischen
Merkmale der strafbaren Handlungen wird wenig beeinflusst durch die Rücksicht auf
die Götter. Nicht wie in dem theokratischen Staatswesen der Hebräer12 finden wir die
Todesdrohungen gegen Abfall vom Glauben, Nichtheiligung der Feiertage, Blasphemie.
gen gegen den Bluträcher (Goel) schätzten, 2. Mos. 21, 12 u. 13. - Thonissen, II. S. 264ff.
6Rein, S. 29. Auch die Worte castigare = castum agere und luere (poenani luere) weisen auf Reinigung
7Einziehung des Vermögens zur Strafe heisst in der älteren Zeit Consecratio bonorum.
8Ich trete hier durchaus v. Ihering I. S. 281, 282, bei, der aufmerksam macht auf die Analogie des
nordischen Wargus, Waldgängers, während Mommsen, Römische Geschichte, 6. Aufl., I., S. 175, wohl
mit Unrecht ein solches Tödten ohne gerichtliche Procedur für aller bürgerlichen Ordnung zuwider
laufend erklärt.
9Vgl. Festus s. v. Sacer mons und Huschke, S. 197 Anm., ferner 5. Mos. 13, 6-11; 17, 2-5. Diejenigen,
welche den verbotenen Abfall vom jüdischen Glauben wahrnehmen, werden aufgefordert, den Schul-
digen sofort zu steinigen, obwohl ohne Zweifel auch dar¸ber ein Richterspruch ergehen konnte, - Auch
in Rom war eine Anklage und öffentliche Hinrichtung des Sacer möglich. Rein, S. 32, 33.
10Mommsen, Staatsr. II. S. 49, sagt, jede Todesstrafe sei in Rom ursprünglich eine Opferhandlung
gewesen.
11Thonissen II. S. 313.
12Plinius Hist nat. 18, 3, vgl. Gellius 11, 18.
19
C. Das römische Strafrecht
Die Handlungen, welche für den Schuldigen den Zustand des Sacer begründen, berühren
vielmehr wesentlich das Interesse der Familie, des Gemein-
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wesens.13 Der Patron, der gegen den Clienten die Treupflicht verletzt,14 der Sohn, der
den Vater misshandelt,15 die Schwiegertochter, welche gegen heilige Familienpflichten
verstösst, verfallen in den Zustand des Sacer, und wenn ein alter auf Numa zurückge-
führter Rechtssatz den Zerstörer eines Grenzzeichens für sacer erklärte16, die XII Tafeln
aber den nächtlichen Felddieb der Ceres zu tödten befahlen, so wird durch diesen Zusatz
- suspensumque Cereri necari jubebant17 - das offenbar einen wirksamen Schutz des Ei-
genthums gewährende Gesetz sicher nicht zum religiösen18: es schimmert vielmehr über-
all nur die Absicht durch, einerseits gegen den Frevel eine besondere Scheu zu erregen,
andererseits aber die Strafverfolgung, die möglicher Weise bei manchen dieser Delicte
eine zu nachsichtige gewesen - wie z. B. wegen des obwaltenden Familienverhältnisses
-, durch die Hinweisung auf die Religion und durch das Gestatten sofortiger Executi-
on zu einer besonders nachdrücklichen zu machen. Einen wirklich religiösen Character
tragen nur die Delicte, welche direct als Antastungen des vom Staat geheiligten Cultus
erscheinen, und dieser sind wenige. Sicher bezeugt ist19, wenn wir von Disciplinarstrafen
gegen unbotmässige Priester absehen, nur die Unzucht der Priesterinnen der Vesta und
die Unzucht mit ihnen, welche für die Vestalin die Strafe des Lebendigbegrabens20), für
den Buhlen aber die Tödtung durch Geisselhiebe nach sich zog21).
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Eigenthümlich ist dem römischen Strafrecht, dass die Privatrache als Rechtsinstitut
schon früh in den Hintergrund gedrängt ist. Vollkommen rein finden wir sie in den noch
vorliegenden Ueberlieferungen überhaupt nicht mehr: wir vermögen indess aus diesen
noch einige weitere Schlüsse zu ziehen.
§. 3. Die dolose Tödtung ist schon früh der öffentlichen Strafgewalt anheimgegeben.
13Sehr richtig sagt Platner S. 26: "Civitate potius religio quam religione civitas continebatur. - Cicero
de legg. II. c. 21 führt aus, wie die scientia juris civilis die blosse auctoritas pontificum, welche kein
Gesetz sei, aufhebe.
14Dionysius H. II. 10 erwähnt, dass auch der Client, der seine Pflichten verletzte, für sacer erklärt wurde.
15Festus b. v. Plorare: ßi parentera puer verberit, aste olle ploraesit, puer divis parentum sacer esto"hier
als Gesetz des Servius Tullius bezeichnet.
16Festus b. v. Termino: "Numam statuisse accepimus: eum qui terminum exarasset, et ipsum et boves
sacros esse "
17Vgl. über diese sämmtlichen Fälle Abegg S. 45 ff.
18Sehr wohl vereinbar ist mit der Verneinung des theokratischen Charakters des älteren römischen Straf-
rechts die Annahme, dass die Priester einen bedeutenden Einfluss auf das Recht und speciell das Straf-
recht ausübten. Die römischen Priester sind Staatsbeamte, und dieser Einfluss ist eine nothwendige
Folge davon, dass weltliche und geistliche Gewalt ursprünglich in denselben Händen sieh befanden.
Mommsen, röm. Staatsr.II. S. 49.
19Festus s. v. Pellices erwähnt noch: "Pellex aram Junonis ne tan-gito; si tauget, Junoni crinibus demissis
agnum feminam caedito".
20In der ältesten Zeit wurde auch die Vestalin zu Tode gegeisselt,
21Platner, S. 27, meint, es habe sich bei dieser Strafgewalt der Priester gegen den schuldigen Mann nur
um Sclaven der Priesterschaft gehandelt. Dann würde die Strafgewalt der letzteren allerdings nur
als eine disciplinare betrachtet werden können. — Richtig ist, dass gegen die etwa von den Priestern
Absolvirten noch von Staatswegen inquirirt werden konnte.
20
Die Quaestores parricidii 22 und ein Todesurtheil wegen absichtlicher Tödtung im Jäh-
zorn begegnet uns schon in der bekannten Erzählung von den Horatiern (Liv. I. 23), und
aus den Gesetzen des Numa Pompilius wird (von Festus s. v. Parici Quaestores) die alte
Vorschrift erwähnt: „Si quis hominem liberum dolo sciens morti duit, parricida esto".
Die culpose Tödtung sollte schon nach eben diesen Gesetzen mit dem Sühnopfer eines
Bockes von der Rache gelöst werden können, und dieser Bock musste, da die Tödtung
eines Bürgers als Angelegenheit des Staates betrachtet wurde, in concione, d. h. in der
Bürgerversammlung offerirt werden. Dagegen hat eine Rachebefugniss des Ehemannes
und des Vaters einer ehebrecherischen Tochter gegen den auf der That ertappten Ehebre-
cher ohne Zweifel lange bestanden. Die Lex Julia de adulteriis unter August hat darüber,
indem sie zugleich eine Anklage wegen Adulterium in einem Iudicium publicum einführt,
genauere Bestimmungen, darauf berechnet, diese Rache möglichst einzuschränken; man
darf nach Gellius N. A. X. 23 „In adulterio uxorem tuam si prehendisses, impune sine
judicio necaresännehmen, dass sie bis dahin in einem weiteren Umfange geübt wurde
und insbesondere auch der Mann die auf der That ertappte Frau ohne Weiteres tödten
durfte.23
Auch wegen Körperverletzungen scheint bis zu den XII Tafeln nicht selten von der
Rache Gebrauch gemacht zu sein. Die XII Tafeln setzten
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ihr äusserstes Maass in die Talion24, insofern der Schuldige nicht in anderer Weise sich
mit dem Verletzten abzufinden vermochte.25 Bei geringeren Verletzungen — os fractum
22Die Ableitung und ursprüngliche Bedeutung des Wortes Parricidium, welches später allerdings den
Mord naher Verwandten bezeichnet, sind bestritten. Während Rein, S. 450, noch die Ableitung von
pater und caedere festhält — Andere haben das Wort von parens und caedere abgeleitet — hat
Osenbrüggen das Wort in scharfsinniger Weise einfach als arge (dolose) Tödtung erklärt von para =
per, wie perjurus, wie per-fidia und Huschke, S. 183, erklärt sich noch wieder für die Ableitung von
parem caedere, Tödten eines gesellten Gleichen, eines Volksgenossen.
23Vgl. Abegg, Untersuchungen aus dem Gebiete der Strafrechtswissenschaft, 1830, S. 166. Der Ehemann
darf nur den Ehebrecher tödten, nicht die Frau, und ersteren auch nur, wenn derselbe zu den viliores
personae gehört. Der Vater darf den Ehebrecher nur tödten, wenn er zugleich die Tochter tödtet.
24Die bekanntlich im mosaischen Rechte (vgl. besonders 3 Mos. 24, 20: Schade um Schade, Auge um
Auge, Zahn um Zahn; wie er hat einen Menschen verletzt, soll man ihm wieder thun), aber auch
sonst vielfach wichtige Talion (vgl. z. B. in Betreff Griechenlands Hermann, Lehrb. 70, Anm. 9ff.;
„XXXXXXXXXXXXXXïst nicht als unbedingtes Gebot, sondern als Beschränkung der Rache auf-
zufassen, da der Gesetzgeber die Rache eher beschränken, als völlig beseitigen konnte. Vgl. darüber
besonders treffend Thonissen, II. S. 66.
25Dass nur absichtliche Körperverletzungen gemeint sind, folgt einerseits durch die Subsumtion unter das
nur dolo mögliche Delict der Injurie bei Gajus, andererseits aber aus der erwähnten Bestimmung über
culpose Tödtung. Musste hier die Familie des Getödteten sich mit einem Sühnopfer zufrieden geben,
so durfte sie bei blosser Körperverletzung auch gewiss, nicht mehr Rache üben. Anderer Meinung
sind freilich auf Grund von Gellius XX. 1, §. 34, Köstlin, Mord und Todtschlag, S. 44, und v. Ihering,
das Schuldmoment im rörn. Privatrecht, 1867, S. 11. Allein die Worte „decemviri ... neque ejus qui
membrum alteri rupisset . .. tantam esse habendam rationem, ut an prudens imprudensve rupisset,
speetandum putarent"beziehen sich nach richtiger Auslegung auf den Fall, dass zwar der Schlag selbst
dolos geschehen, die specielle Art der Verletzung allerdings nicht beabsichtigt war, ebenso wie auch
heut zu Tage noch über die Qualification einer Körperverletzung als schwerer oder leichter wesentlich
der Erfolg entscheidet. Denn von einer „Violentia pul-sandi atque laedendi", die man, wie Gellius 1.
c. sagt, im Zaume halten wollte, kann doch nur bei absichtlicher Misshandlung, nicht bei culposen
21
C. Das römische Strafrecht
aut collisum, im Gegensatz zu dem membrum raptum — schlossen sie bereits die Talion
völlig aus und bewilligten dem Verletzten bestimmte Busssätze26
Auf Privatrache weist ferner noch zurück die Behandlung des Diebstahls. Den Fur
nocturnus 27 und den bewaffneten Dieb (den mit Waffen
Seite 10
sich zur Wehr setzenden) gestatteten die XII Tafeln zu tödten; freilich erscheint das im
späteren Rechte nur als erweiterte, präsumirte und endlich nur als wirkliche28 Nothwehr,
insofern an sich dem Bestohlenen Hausherrn) die Befugniss zusteht, den auf der That
Ertappten zu ergreifen. Aber unzweifelhaft deutet auf Privatrache die ausgezeichnete
Ahndung des Furtum manifestum29: „Poena manifesti furti ex lege XII tabularum ca-
pitalis erat; nam liber verberatus addicebatur ei cui furtum fecerat", sagt Gajus IV,
189. Die Addiction wird an die Stelle der uralten Tödtungsbefugniss getreten sein. Ge-
rade um die Rache des Be-stohlenen auszuschliessen, die dem auf der That Ertappten
gegenüber besonders schwer zu beseitigen war, musste das Gesetz30 das Recht des Be-
stohlenen bei dem Furtum manifestum möglichst weit erstrecken31, so dass dann später
auch das Furtum manifestum die prätorische Strafklage auf das Vierfache32, das Furtum
Verletzungen bei Gelegenheit an sich erlaubten Thuns die Rede sein, und nur auf erstere passt auch
der Schluss der Stelle „quoniam modus voluntatis praestari posset, casus ictus non posset". Ob man
schlagen, stossen will, hat man in der Gewalt; nicht aber, wie der Schlag, der Stoss treffen, schädigen
wird.
26Hauptstelle: Gaj. III, 223 „Poena autem injuriarum ex lege XII tabu-larum propter membrum quidem
ruptum talio erat, propter os vero fraetum aut collisum treeentorum assium poena erat veluti si libero
os fractum «rat; at si servo CL: propter ceteras vero injurias XXV assium poena erat constituta."Wie
Gajus hinzufügt, waren nach den Geldverhältnissen der alten Zeit „in magna paupertate"diese Buss-
sätze gar nicht so unbedeutend.
27Decemviri in XII Tabulis . . . dixerunt... Si nox furtum factum sit, si im occisit, jure caesus
esto."Macrob. Saturn I. c. 4. — Vgl. Gellius VIII, 1. XI, 18: „furem qui manifesto furto prensus
esset, turn demum occidi permiserunt (XII Tabb.), si aut cum faceret furtum, nox esset, aut interdiu
telo se quum prenderetur, defenderet. — Cic. pro Milone c. 3. Collatio leg. Mosaic. VII. pr. L. 9 D.
ad leg. Aqu. 9, 2. — Vgl. Abegg, Untersuchungen S. 142.
28Coll. VII. 2. Paullus libro V ad legem Corneliam de sicariis et veneficis. Si quis furem noeturnum vel
diurnum, cum ee telo defenderet, occiderit, hac quidem lege non tenetur: sed melius fecerit qui eum
comprehensum transmittendum ad praesidem magistratibus optulerit". Das. c. 3, §. 1 . . Pomponius
dubitat, num haec lex sit in usu. — Paulus in L. 9 D. ad leg. Corn. de sicariis 48, 8: Furem noeturnum
si quis occiderit, ita demum impune feret, si parcere ei sine periculo suo non potuit.
29Ueber die Definition des Furtum manifestum vgl. besonders Gaj. III. 184
30Der Sclave büsste nach den XII Tafeln mit dem Leben. Er wurde gegeisselt und dann vom Felsen
herabgestürzt. Gellius N. A. XI. 18.
31Vgl.Hepp, Versuche über einzelne Lehren der Strafrechtswissenschaft, 1827, S. 132 ff.
32Andere Erklärungen (vgl. über dieselben Hepp a. a. 0. S 110ff., Rein, S. 298 Anm. und Zumpt I.
S. 376) befriedigen doch wohl nicht Dass der auf der That ertappte Dieb stets der gefährlichere,
verwegenere sei, ist unzweifelhaft unrichtig: im Gegentheile kommt oft der Verwegenere schliesslich
leichter davon, als der Zaghafte; die Annahme, dass der für sein Eigenthum Wachsame besonders
habe belohnt werden sollen, ist zu künstlich — der Wachsame wird ja ohnehin belohnt, indem er seine
Sachen behält, und Belohnungen und Aufmunterungen, sein Eigenthum gegen Widerrechtlichkeiten
zu vertheidigen, sind wohl im Allgemeinen überflüssig genug. — Die Erklärung, dass man, aus Furcht
ungerecht zu urtheilen, nur dem Ertappten oder Geständigen die volle Strafe zuerkannt habe (so
z. B. auch Zumpt) paast ferner nicht, weil auf das Geständniss hier gar nichts ankommt Auch von
einer grösseren Beleidigung des Bestohlenen durch das F. manifestum kann nicht die Rede sein; das
22
nec manifestum nur eine Strafklage permiserunt (XII Tabb., si aut cum faceret furtum,
nox esset, aut interdiu telo se quum prenderetur, defenderet. — Cic. pro Milone c. 3.
Collatio leg. Mosaic. VII. pr. L. 9 D. ad leg. Aqu. 9, 2. — Vgl. Abegg, Untersuchungen
S. 142.
Seite 11
auf das Duplum nach sich zog33. Es erklärt sich aber auch so sehr einfach, weshalb bei
einem Diebstahle (mit Ausnahme des erwähnten an Feldfrüchten) von einem sacer esse
des Diebes nicht die Rede ist. Wen das Gesetz für sacer erklärt, gegen den fordert es
die Rache heraus; und das zu thun, hat der Gesetzgeber bei der in roherer Zeit ent-
schieden wohl überall vorhandenen Neigung — man denke nur an unsere Bauern —
Eigenthumsdelicte strenge und auf der Stelle zu ahnden, gewiss keine Veranlassung. Die
Ausnahme bezüglich des nächtlichen Felddiebs findet dabei auch leicht ihre Erklärung,
einerseits als Concession an den bisherigen Usus, andererseits aus uns leicht begreiflichen
Zweckmässigkeitsrücksichten.
§. 4. Bei der Tödtung ist schon frühzeitig Privatrache und Privatbusse verschwunden
und öffentliche Strafe an die Stelle getreten. Das kleine von vielen Feinden bedrängte
Gemeinwesen der Römer empfand die dolose Tödtung eines Bürgers als einen Angriff
auch auf die Kraft nnd das Gedeihen des Staates selbst, also auch als eine Treulosigkeit
gegen diesen, und eben dieser Umstand ist für das römische Strafrecht verhängnissvoll
geworden. Das einzige ursprüngliche Verbrechen gegen das Gemeinwesen selbst ist die
Perduellio, d. h. der Kriegszustand des Einzelnen gegenüber dem Gemeinwesen (Duellum
= Belluni; Perduellis = arger Feind). Es gehört dahin zunächst Verrath des Vaterlandes
an den äusseren Feind, Uebergang zum Feinde im Kriege und Antastung
Seite 12
der Verfassung des Vaterlandes durch Vornahme von Handlungen, die als Anmaassung
der höchsten Rechte des Gemeinwesens selbst betrachtet werden können, zur Zeit der
Republik insbesondere Streben nach der Alleinherrschaft und Untemehmungen gegen
die speciell für sacrosanct erklärten Magistrate der Plebs wie später in der Kaiserzeit
Unternehmungen gegen die Person des Princeps. Allein darauf ist, wie man nach unseren
Ertapptwerden ist meist nur eine Folge mangelnder Geschicklichkeit des Diebes. — Für die im Texte
angenommene Ansicht spricht auch die ältere noch in der L. 7. §. 1 D. de furtis 47, 2 gebilligte römische
Auffassung, welche für das Furtum manif. das Ergriffensein des Diebes verlangte und nicht mit der
unmittelbaren Wahrnehmung der That sich begnügte. Zu Justinians Zeit (vgl. §. 3 J. 4, 1) hatte
man für den Ursprung der besonderen Rechtssätze über das F. manif. kein Verständniss mehr; daher
die hier gebilligte weitere Ausdehnung des Begriffs. — Eine künstliche Ausdehnung des F. manif.
war es, wie Gaj. III. 194 selbst sagt, dass nach den XII Tafeln als F. manifestus behandelt wurde
Derjenige, bei dem die gestohlene Sache mittelst feierlicher Haussuchung (Lance et licio) gefunden
wurde. Derjenige, bei dem ohne solche Haussuchung gestohlenes Gut gefunden wurde, zahlte wegen
Furtum conceptum das Triplum (indess wohl nur, wenn er über den rechtlichen Erwerb sich nicht
sofort ausweisen konnte), eine Strafbestimmung, welche zugleich den Hehler traf. (Vgl. Rudorff II. S.
352.) Zum Schutze der feierlichen Haussuchung diente die Actio furti prohibiti aut das Vierfache des
Werths der gestohlenen Sache gegen Den, der die in gehöriger Form geforderte Haussuchung nicht
gestattete.
33Eine Privatabfindung durch Geld war wohl schon vor den XII Tafeln vielfach üblich gewesen, worauf
das alte Klagformular „pro fure damnum decidere oportere"deutet. Der Prätor hat wohl nur die Sitte
fixirt. Vgl. Rudorff II. S. 350.
23
C. Das römische Strafrecht
heutigen Anschauungen freilich annehmen möchte, der Begriff nicht beschränkt. Nach
römischer Auffassung kann vielmehr jede That infolge besonderer Umstände den Charak-
ter einer böswilligen Gefährdung des Gemeinwesens annehmen und als solche behandelt
werden, und darüber entscheidet der Inhaber der höchsten Gerichtsbarkeit souverain,
wenn auch nach einem durch das Herkommen geleitetem Ermessen, in alter Zeit der
König, nach der Lex Valeria, welche die Provocation gegen Urtheile der Magistrate zu
einem Rechtsinstitute erhob, in letzter und in dem Rechte der XII Tafeln das Volk selbst
in den Centurialcomitien. Perduellio ist, wie die Anklageformel „Tibi perduellionem in-
dico"34[ andeutet, nicht sowohl eine verbrecherische That, als vielmehr ein Strafzustand
des Schuldigen, die Behandlung als Staatsfeind.,35 Daher war es allerdings auch möglich
die dolose Tödtung eines Bürgers, die dolose Tödtung der Schwester in der Erzählung
von den Horatiern als Perduellio zu behandeln,36 und daher konnte z. B. später der
Senat auch ohne Weiteres die Bacchanalien, die Giftmischereien römischer Frauen, als
contra rempublicam geschehen, da sie einen staatsgefährlichen Charakter anzunehmen
schienen, als Staatsverbrechen verfolgen. Die weitere strafrechtliche Qualität der That
wie des Thäters ist dabei durchaus gleichgültig.
Besonders deutlich wird dieser unbestimmte Charakter der Perduollio durch ihr ple-
bejisches Gegenbild, die Multae irrogatio seitens der plebejischen Magistrate.37 Indem
die Gesetze Angriffe auf das geheiligte Recht der Plebs als Handlungen eines der Plebs
Verfallenen, mit ihr im Kriegszustande Befindlichen erklärten, war es möglich, dass die
Tribuni (bezw. Aediles) plebis gleichsam zur Auslösung aus diesem Kriegszustande dem
Schuldigen die höchsten, durch willkürlichen Anschlag bestimmten, Geldbussen durch
die Plebs zuerkennen liessen (Multae irrogatio), und dass als solcher Ahndung unterlie-
gende Handlungen z. B. ausser dem
Seite 13
Streben nach der Alleinherrschaft, Behalten eines Amtes über die Amtszeit hinaus,
Kriegführung ohne Geheiss des Senats, Missbrauch der Amtsgewalt, Beleidigung des
Volkes durch übermüthige Aeusserungen, auch z. B. Unregelmässigkeiten bei Verthei-
lung der Kriegsbeute, Peculat, Verwendung von Soldaten zu Privatzwecken, Missbrauch
der Censur, Vergehen gegen die Religion, Zauberei, Wucher, ja selbst Stuprum und an-
dere Sittlichkeitsdelicte im engeren Sinne erschienen.
§. 5. Die in der That ungeheure Unbestimmtheit des alten Staatsverbrechens — ur-
sprünglich wohl des einzigen öffentlichen Verbrechens — beruht aber unserer Ansicht
nach nicht — und hierin differiren wir insbesondere von Huschke (S. 210, 211)38 — auf
dem Wesen des Verbrechens überhaupt, sondern auf der specifisch römischen Auffas-
34Liv. I. 26, 7. — Vgl. XXVI. 3.
35So richtig Rudorff II. S.365 Anm.l. und Huschke S. 185 Anm. 109. gegen Rein S.466 ff.
36Vgl. Nissen: Das Justitium, eine Studie aus der römischen Rechtsgeschichte. 1877, S. 24 ff.
37Vgl. darüber insbesondere die vortrefflichen Untersuchungen Huschke’s, S. 145 ff. und namentlich die
Bemerkungen S. 179.
38„Das Verbrechen als solches istbloss ethische Negation; es hat in sich selbst keine rechtlichen Unter-
schiede, da non entis nulla sunt praedicata". So Huschke, S. 211. Ich glaube, dass hier Rechtsverletzung
und Strafe verwechselt werden. Das Verbrechen als Rechtsverletzung muss ebenso wie das verletzte
Recht bestimmt sein, feste Grenzen haben. Aber freilich die Strafe ist ursprünglich immer nur eine,
die Ausstossung aus der Gemeinschaft oder der Tod.
24
sung des Verhältnisses des Einzelnen zum Gemeinwesen. Nach dieser Auffassung hat der
Einzelne dem Gemeinwesen gegenüber kein wirkliches Recht. Das zeigt sich deutlich in
der bekannten Unverantwortlichkeit des republicanischen Magistratus, der unmittelbar
den Populus vertretend gedacht wird, während der Amtsdauer, in der Unmöglichkeit,
eine Amtshandlung eines Magistratus unmittelbar als nichtig zu behandeln — es findet
dagegen nur die Intercession einer par majorve potestas statt — in der Unmöglichkeit,
den Fiscus vor Gericht zu belangen,39 endlich später in der sofort schrankenlosen Ge-
walt des Princeps. Allerdings fehlt es nicht an Gesetzen, welche versuchen dem Bürger
eine bestimmte Rechtssphäre auch dem Gemeinwesen gegenüber zu garantiren, und alle
Gesetze über die Judicia publica sind solche Versuche, das ursprünglich unbestimmte
Strafrecht des Staates in festere Grenzen einzuschliessen,40 freilich aber auch dadurch in
der Anwendung sicherer zu machen. Allein der römischen Auffassung nach ist das doch
immer nur eine freiwillige, jeder Zeit möglicher Weise zurückzunehmende Concession des
Staats, nicht eine Folge einer beharrlich festgehaltenen Rechtsidee, und zurückgenommen
wird z. B. jene Concession, wenn der Senat den Staat als in Gefahr befindlich erklärt,41
bei Ernennung eines Dictators. Auch ist so
Seite 14
leicht erklärlich, dass ursprünglich alle Freiheitsrechte des Einzelnen gegenüber den Ma-
gistratus, weil sie eben nur eine positive Concession sind, beschränkt sind auf die Stadt
Rom und deren nächsten Umkreis,42 Nach germanischer Auffassung verhält sich das —
und diese Vergleichung scheint mir zur Verdeutlichung besonders geeignet — durchaus
anders. Die Rechtssphäre des Einzelnen ist auch der Gesammtheit gegenüber nicht nur
gegründet auf ein positives, beliebig zu modificirendes oder gar ausser Kraft zu setzen-
des Gesetz, sondern beruht auf der Rechtsidee, deren Ausdruck nur Gesetz und Vertrag
sind. Auch der König muss nach germanischer Rechtsauffassung vor Gericht Recht neh-
men; gegen den Fiscus, gegen die Gesammtheit kann man Jura quaesita in weitestem
Umfang erwerben, und dem Germanen folgt sein persönliches Recht überall; Befehle,
die wider Recht ergehen, gelten nicht. Es ist in der That nicht richtig, wenn gewöhn-
lich43 die welthistorische Bedeutung des römischen Rechts darin gefunden wird, dass es
den Einzelmenschen zu selbständiger Bedeutung, zu in gewissem Umfange unabhängi-
ger Stellung gegenüber der Gesammtheit verholfen habe. Dies ist doch im Wesentlichen
erst eine Folge des Eingreifens der germanischen Rechtsideen in die Culturentwicklung
der Menschheit. Es ist auch nicht einmal wahr, dass gerade hierin von den Römern ein
Fortschritt im Vergleich zu den Griechen gemacht sei. Die weit sorgsamere Umgrenzung
der Competenz der attischen Magistrate, der von Anfang weit wirksamer und sorg-
fältiger gestaltete Rechtsschutz der Einzelnen (besonders im Strafverfahren) in Athen
sprechen entschieden dagegen. Allerdings geht die römische Auffassung nicht dahin, dass
39Der Procurator fisci und nicht das Gericht entscheidet später in Fiscalsachen.
40Vgl. darüber insbesondere die citirte Schrift von Nissen.
41Daraus erklärt sich auch, dass die Römer, insbesondere zur Zeit der Republik, dem Strafgesetze oft
rückwirkende Kraft beilegten „qui fecit, fecerit", ohne darin etwas Abnormes zu finden. Vgl. Seeger,
Abhandlungen aus dem Strafrecht II, 1862, S. 1 ff.
42Vgl. Puchta, Institutionen I. §. 51, Anm. 6.
43Vgl. z. B. Hildenbrand, Geschichte und System der Rechts- und Staatsphilosophie, I. S. 524.
25
C. Das römische Strafrecht
der Staat ein unbedingtes Recht darauf habe, dass der einzelne Bürger vortrefflich sei,
dass er ohne Weiteres als integrirendes Glied des Gemeinwesens erzogen werden könne,
und Strafgesetze, die mit Rücksicht auf das Wohl des Individuums, wie die des Zaleukos
und Charondas Strafen für schlechten Umgang androhen, wie die der Lokrer das Trinken
unvermischten Weines, wie selbst die des Solon den Mangel eines bürgerlichen Erwerbs-
zweiges mit Strafe bedrohten,44 oder gegen den Selbstmord einschritten,45 begegnen uns
in Rom nicht. Danach kann man freilich sagen, der römische Staat
Seite 15
habe Recht und Moral strenger als der griechische geschieden, aber dem Einzelnen doch
kein unverbrüchliches Recht dem Gemeinwesen gegenüber zugestanden.
Und daraus erklärt sich der verglichen mit dem Privatrecht in vielfacher Beziehung
unbefriedigende Zustand des römischen Strafrechts, insbesondere das häufig brutale, wie
man es nennen darf, Einschreiten der Gesetze, der Kaiserconstitutionen und Senatus-
consulte gegen Handlungen. die an sich das Recht gar nicht verletzen, vielleicht nur als
entfernte Gefährdungen des Rechts betrachtet werden können, wie der gleichsam poli-
zeilich unbestimmte Charakter der meisten umfassenden römischen Strafgesetze,46 die
um recht sicher zu gehen Vorbereitungshandlungen, wie wir heut zu Tage sagen würden,
dem eigentlichen Verbrechen gleichsetzen; daraus erklärt sich auch, dass die Jurispru-
denz auf dem Gebiete des Strafrechts, wenigstens was die Wirkung für den römischen
Staat selbst betrifft, theilweise nur eine Sisyphus-Arbeit verrichtete, welche erst für uns
dauernde Früchte getragen hat, dass sehr oft die Theorie der römischen Privatstrafkla-
gen, in denen das Rechtsprincip reiner zur Geltung kommt, für uns wichtiger ist, als die
Aussprüche der römischen Juristen über die Crimina publica, oder dass doch wenigstens
diese Aussprüche durch Heranziehung der Theorie über die Privatstrafklage ergänzt oder
modificirt werden mussten, um für uns brauchbar zu werden.47
44Hermann, Lehrb. der griechischen Privatalterthümer, §. 60 zu Anm. 4 ff.
45Hermann a. a. 0. §. 62 zu Anm. 27. Dem Selbstmörder wurde in Athen die Hand abgehauen.
46Laboulaye, S. 265, erklärt diese eigentümliche Art der Abfassung der Strafgesetze daraus, dass sie eben
nur Competenzgesetze gewesen seien, und der Verweisung verschiedener Delicte an dieselbe Quaestio
ja nichts entgegen gestanden habe. Allein die Competenz ist doch nicht das Einzige, mit dem die
Strafgesetze der Republik sich befassen: sie bestimmen auch Strafen; und eben der Umstand, dass
mehr auf die Competenz des Gerichts, als auf eine genaue Bestimmung der Delicte selbst gesehen
wurde (vgl. Laboulaye S. 304), ist ein Beweis mehr für die Willkür, mit welcher man das materielle
Strafrecht behandelte.
47Ein bezeichnendes Beispiel für das Verfahren der römischen Strafgesetzgebung ist die Lex Cornelia
de sicariis, das für die gesammte spätere Rechtsentwicklung maassgebende Gesetz über die Tödtung.
Schon das Umhergehen mit Waffen, in der Absicht, einen Menschen zu tödten, aber auch nur um
einen Diebstahl zu begehen, das Anfertigen, Verkaufen von Gift, mit dem Menschen eventuell um-
gebracht werden sollen, die Brandstiftung in Rom selbst und dem nächsten Umkreise der Stadt, das
falsche Zeugniss, mit welchem ein Unschuldiger in Capitalstrafe gebracht werden soll, die Bestech-
lichkeit oder auch die Parteilichkeit eines Magistrats oder Judex quaestionis zu gleichem Zweck, die
gesetzwidrige Aburtheilung eines römischen Bürgers durch Magistrate oder Senatoren ohne Judicium
publicum (vgl. darüber Cic. pro Cluentio c. 54), alles dies fällt unter dasselbe Gesetz, welches die
wirkliche absichtliche Tödtung eines Menschen verpönt, und kaiserliche Constitutionen und Senats-
schlüsse bringen damit noch in Verbindung das Verbrechen der Castration, ja sogar das Halten von
„mala sacrificia"(vgl.L. 1, 4, 13 D. ad leg. Corneliam de sic. 48, 8). Ein anderes Beispiel liefert die Lex
Cornelia de falsis, nach deren Erweiterung durch ein Senatsconsult auch Der wegen falsum bestraft
26
Seite 16
Man wird vielleicht einwenden, dass Gelegenheitsgesetze in Frage seien, die z. B. der
zeitweise überhand nehmenden öffentlichen Unsicherheit entgegentreten sollten. Allein
die Bezeichung eines Gelegenheitsgesetzes passt doch z. B. auf die unter August erlas-
sene Lex de adulteriis nicht, und eben der Umstand, dass jene Gesetze, wenn sie zum
Theil auch Gelegenheitsgesetze waren, lange Jahrhunderte hindurch gleichsam das Kno-
chengerüst des öffentlichen Strafrechts bilden konnten, der Umstand, dass später nie der
Versuch gemacht wurde, diese Gesetze durch andere mit bestimmteren Rechtsprincipien
zu ersetzen, dass vielmehr die Fortbildung des Strafrechts durch Kaiserconstitutionen
und Senatusconsulte in der gleichen willkürlichen Weise erfolgte, oharakterisirt die rö-
mische Strafgesetzgebung deutlich genug.
§. 6. Die Rechtswissenschaft48 vertritt in der Kaiserzeit in mancher Beziehung die
Reaction der Rechtsidee gegen die Willkür der Gesetzgebung. Wir bemerken, dass sie die
einzelnen, in den Gesetzen oft bunt durcheinander gewürfelten Fälle strenger zu sondern,
gerechtere Abstufungen der Strafbarkeit einzuführen bemüht ist. Allein den Mangel eines
festen objectiven Thatbestandes in den Gesetzen hat sie doch zu ersetzen meist nicht
vermocht und die nicht von bestimmten Traditionen und Principien getragenen Eingriffe
der Gesetzgebung, d. h. nun der Kaiserconstitutionen und Senatusconsulte erschwerten
ihr die Arbeit, so dass schliesslich in dem öffentlichen Strafrechte das Willkürliche und
Zufällige von Dem, was bleibenden Werth beanspruchen kann, weit weniger getrennt
erscheint als im Privatrecht.
Seite 17
Die letzte reale Erklärung für diesen eigentümlich willkürlichen Charakter des römischen
Strafrechts ist wohl nur darin zu finden, dass die fortwährenden Kämpfe, in denen der
zuerst so kleine römische Staat um seine Existenz ringen musste, von vornherein die
Idee einer beständigen festen Grenze zwischen der eigentlich strafbaren und zugleich
sittlich verwerflichen und der nur gefährlichen Handlung ausschlossen. In Zeiten der
Gefahr scheint eine sonst nicht bedeutende Handlung leicht einen anderen Charakter
anzunehmen, und man wird geneigt, der schleunigen, energischen Repression wegen,
um den Schwierigkeiten des Beweises zu entgehen, die volle gesetzliche Strafe auf Fälle
anzuwenden, in denen eine genauere, gerechtere Betrachtung doch einen wesentlichen
Mangel im Thatbestande entdecken lässt. „In hello (populus) sic paret ut regi: valet
wird, der Geld nimmt für Ablegung eines Zeugnisses, ja nach einem SCum Claudianum auch Derje-
nige, der als Schreiber eines Testaments eine Disposition zu seinen Gunsten, wenn auch auf Geheiss
des Tcstators und vielleicht optima fide niederschreibt (L. 15 pr. D. eod. L. 3 C. de his qui sibi 9,
23): die blosse Möglichkeit einer Fälschung genügt hier zur Verurtheilung zu einer Criminalstrafe. Die
Lex Julia de adulteriis bestraft ohne Weiteres als Kuppler den Ehemann, der die auf dem Ehebruch
ertappte Frau nicht verstösst (L. 2 §. 2 D. 48, 5). Die Lex Julia de vi bestraft Denjenigen, der Waffen
in ungewöhnlicher Menge besitzt und sich über einen besonderen erlaubten Zweck nicht sofort aus-
weisen kann, ferner Denjenigen, „qui pubes cum telo in publico fuitünd wirft diese Fälle zusammen
mit dem Falle wirklicher, gewaltsamer Erstürmung von Ortschaften, von Stuprum violentum und
bewaffnetem Diebstahl bei Gelegenheit einer Feuersbrunst.
48Vgl. auch Padeletti, S. 258 ff. — Pernice, S. lff., glaubt den römischen Juristen in grosssem Umfange
Principlosigkeit und Oberflächlichkeit bei Behandlung des Strafrechts nachweisen zu können. Ich
zweifle, ob seine Einwendungen und Auffassungen in dieser Hinsicht richtig sind.
27
C. Das römische Strafrecht
enim salus plus quam libido."49
Wenn solche Zeiten oft wiederkehren, und wenn, wie es zweifellos ist, die militärische
Zucht, der die Bürger einen grossen Theil ihres Lebens hindurch unterworfen waren,
eine solche Behandlung des Straf-rechts ohnehin nahelegte, wenn, wie bemerkt, die Frei-
heiten des römischen Bürgers in älterer Zeit schon ausserhalb des nächsten Umkreises
der Stadt ihre Geltung verloren, so war es natürlich, dass endlich auch die dauernde
Gesetzgebung kein Verständniss besass für den Unterschied wirklicher Rechtsverletzung
und nur gefährlicher Handlung’. Und dazu kommt noch, dass bald nach der Königszeit
die gesammte Criminaljurisdiction (zunächst allerdings nur in Folge der Provocation von
den Urtheilen der Magistrate) der Volksversammlung anheimfiel, die, da sie zugleich die
gesetzgebende Gewalt inne hatte, nicht streng an ein festes Gesetz zu binden war und
häufig mehr ein Urtheil über die Person, die Gesinnung des Angeklagten, als über die
That füllte, welche den Gegenstand der Anklage bildete.
Damit hängt wiederum zusammen die durchaus vorherrschende Berücksichtigung des
Dolus, die Vernachlässigung der Thatseite des Verbrechens in den Judicia publica. Das
öffentliche Strafrecht, aus der Perduellio hervorgewachsen, verleugnet seinen Ursprung
nicht: ist man doch auch heut zu Tage geneigt, bei Staatsverbrechen im engeren Sinne auf
den Animus hostilis gegen die Kos publica, wie die Römer sagen, vorzugsweise Gewicht
zu legen.
§. 7. Einen gewissen Gegensatz zu den übrigen Strafgesetzen der Republik bilden al-
lerdings die Zwölftafeln. Sie sollten, wie berichtet wird, in der That das geltende Recht
fest und klar stellen, eine Codification sein, bei der freilich einzelne Fortbildungen nicht
ausgeschlossen waren, zum Schutze insbesondere der Plebs gegen Willkür. Die Rechts-
Seite 18
sätze der XII Tafeln sind nicht von jener polizeilichen Unbestimmtheit, der wir später so
oft begegnen. Neben den bereits erwähnten Sätzen über dolose (bezw. culpose) Tödtung,
über Diebstahl, Körperverletzung enthielten die XII Tafeln die Androhung der Todestra-
fe gegen den Landesverräther,50 gegen Den, der ein Haus oder einen neben einem Hause
gelagerten Getreidevorrath (absichtlich) in Brand setzte,51 gegen Den, der falsches Zeug-
niss ablegte, der als Judex oder Arbiter sieh bestechen liess,52 und Denjenigen, der Spott-
oder Schandgedichte verfasste und veröffentlichte.53 Auch ist überliefert, dass sie (ver-
mutlich mit dem Tode) bestraften das Aussprechen von Zauberformeln zum Nachtheile
anderer Personen oder fremder Saaten,54 das Halten nächtlicher Versammlungen in der
Stadt.55 Möglicherweise enthielten sie noch andere criminelle Strafbestimmungen,56 wie
denn auch Bestimmungen polizeilicher Natur und solche gegen den Luxus in ihnen nicht
49Cic. de rep. I. c. 40 §. 63.
50Qui hostem concitaverit quive civem hosti tradiderit". L. 3. pr, D, ad leg. Jul. maj. 48, 4.
51L. 9. D. de incendio ruina 47, 9.
52Gellius XX. 1, §§. 7 u. 53. Der falsche Zeuge sollte vom Tarpejischen Felsen herabgestossen werden.
53Zumpt, I. S. 382, will die Bestimmung auf politische Spottlieder beziehen.
54Qui fruges excantassit . . neve alienam segetem pellexeris. Vgl. Bruns, Fontes juri Rom. antiqui, 3.
Aufl., S. 28.
55Primum XII tab. cautum esse cognoscimus, ne quis in urbe coetns nocturnos agitaret. Bruns 1. c. S.
31.
56Ueber Vergiftung. Vgl. L. 236 D. de V. S. 50, 16.
28
fehlen (z. B. Verbot der Begräbnisse in der Stadt,.57 Beschränkung des Aufwandes bei
Leichenbegängnissen und Begräbnissen, Cic. de Legg. II. c. 23).58
§. 8. Bei den einfachen Verhältnissen der älteren römischen Zeit konnte man aber mit
wenigen öffentlichen Strafvorschriften ausreichen.
Denn erstens wurde das Strafrecht ergänzt durch eine äusserst umfassende Straf- und
Disciplinargewalt des Hausvaters über die seiner Gewalt unterworfenen Kinder, Ehefrau-
en und Sclaven. Wenn die öffentliche Strafgewalt durch diese keineswegs ausgeschlossen
wurde, es vielmehrvom Ankläger abhing, ob er die öffentliche Gewalt anrufen, oder
auch von dem Ermessen eines Magistratus, ob er einschreiten wollte, so wurden durch
die Disciplinargewalt der Hausväter und Herrn59
Seite 19
daneben doch wohl manche Handlungen jener gewaltabhängigen Personen bestraft, ge-
gen welche bei gewaltfreien Personen das Sittengericht der Censoren einschritt.
Die Censoren hatten keine eigentliche Strafgewalt, aber indem sie die Listen der steu-
erpflichtigen und stimmberechtigten Bürger aufstellten, hielten sie sich hierbei nicht
unbedingt gebunden an den Maassstab des Vermögens, sondern erachteten sich, da je-
de Amtshandlung eines Magistratus ohne Rücksicht auf ihre Begründung gültig und
wirksam war, auch für befugt, wegen persönlicher Unwürdigkeit60 dem Einzelnen sein
politisches Recht für die Dauer des Census61 durch Versetzung in eine andere Tribus
(durch das inter aerarios referre),62 durch Weglassen seines Namens in der Liste der
Senatsmitglieder zu schmälern, beziehungsweise zu nehmen, ihn zugleich zur Strafe mit
einem besonders hohen Steueransatze zu beschweren, und ihn mittelbar dadurch zu-
gleich der allgemeinen Nichtachtung oder Verachtung preiszugeben.63 So schritten die
Censoren ein gegen Meineid, der nicht bürgerlich strafbar war,64 gegen Neuerungssucht
57Hominem mortuum in urbe ne sepelito neve urito. Bruns S. 33.
58Vgl. Bruns S. 33, 34.
59Auch Sclaven können auf Grund der Leges öffentlich angeklagt werden, es müsste denn die Strafe
(z. B. Geldstrafe wegen Mangels des eigenen Vermögens) für sie nicht passen. Vgl. L. 12 §. 4 D. de
accusat, 48, 2, über Haussühne vgl. L. 6 §. 2 D. ad leg. Jul. de adulter. 48,5. Vielleicht verhielt sich
die Gerichtsbarkeit des Staates zu der der Familie so, dass de facto das Urtheil des Familienhauptes
respectirt wurde, auch wenn es ein freisprechendes war. Uebermässige Strenge des Familienhauptes
rief zuweilen Missbilligung hervor. — Vornehmen Frauen ersparte man die Schande öffentlicher Hin-
richtung, indem man sie nach geschehener Verurtheilung der Tödtung durch die Familie überwies.
Liv. XXXIX. 13. Zumpt I. S. 358.
60Die Nota censoria ist juristisch keine Strafe; sie kann daher auf Grund einer anderweiten Strafe ver-
hängt werden. Cic. pro Cluentio c. 42 ff. Vgl. Platner S. 13.
61Die neuen Censoren konnten mit dem neuen Lustrum die Amtshandlungen ihrer Vorgänger einfach
durch Veränderung der Listen wieder aufheben. Es trat so häufig von selbst eine Rehabilitation ein,
während der auf einem Judicium beruhende Ehrverlust einen dauernden Charakter hatte.
62Da es in der späteren Zeit keine Aerarii mehr gab, beschränkte sich freilich die Macht der Censoren auf
die Versetzung aus den angeseheneren ländlichen Tribus in eine der 4 städtischen Tribus. Mommsen
II. S. 384.
63Da es in der späteren Zeit keine Aerarii mehr gab, beschränkte sich freilich die Macht der Censoren auf
die Versetzung aus den angeseheneren ländlichen Tribus in eine der 4 städtischen Tribus. Mommsen
II. S. 384.
64Eine reichhaltige Aufzählung der verschiedenen Fälle siehe bei Jarcke S. 16 ff. und Mommsen II. S.
364 ff.
29
C. Das römische Strafrecht
bei Gesetzesvorschlägen und gegen Mangel an Achtung vor den alten Gesetzen, gegen
Verletzung der Ehrfurcht vor der Obrigkeit, gegen ruchlose, wenn auch nicht strafbare
Grausamkeit, Vernachlässigung von Zucht und Sitte in der Ehe, Ehelosigkeit, übermäs-
sigen Luxus und schlechte Wirthschaft.
Seite 20
Ferner kann man die Bestimmungen des Civilrechts über die Infamie als eine Ergänzung
des Strafrechts betrachten. Wer auf gewisse Civilklagen verurtheilt wird, die entweder ein
Delict oder doch einen Bruch des Vertrauens voraussetzen, wird infamis, verliert damit
die Fähigkeit zu Ehrenämtern, das Stimmrecht in der Volksversammlung und erleidet
auch bei der Rechtsverfolgung Nachtheile,65 die wir für die damalige Zeit nicht als ganz
geringfügige betrachten dürfen. So wird infamis, Wer verurtheilt wird auf die Actio furti,
die Actio injuriarum, die Actio fiduciaria, die Actio pro socio, tutelae, mandati, depositi
(directa);66 so wird aber auch infamis der Insolvente, dessen Güter von den Gläubigern
nach erfolgter Missio in bona proscribirt und verkauft sind, und die Infamie tritt in den
Delictsfällen auch ein, wenn Jemand nicht verurtheilt ist, sondern sich nur losgekauft hat,
und in einigen Fällen, die wir als Verbrechen behandeln, war die Infamie67 die einzige,
aber unmittelbar aus der Handlung resultirende und zugleich empfindliche Folge.68
Eine letzte Ergänzung des Strafrechts bildeten später jedenfalls auch die Actiones
populares,69 bei denen im Wege des Civilprocesses seitens einer Privatperson eine Geld-
strafe eingeklagt wurde, welche dem Kläger zufiel. Diese Fälle,70 soweit sie uns überliefert
sind, beruhen meist auf dem Edicto des Prätors und sie betreffen meist das Gebiet der
heutigen Polizeidelicte oder sie beziehen sich auf culpose Beschädigungen.71 So wird
mit Actio popularis geahndet das Beschädigen des öffentlich ausgehängten prätorischen
Edicts selbst, die Tödtung oder Beschädigung eines freien Menschen durch Hinabwerfen
eines Gegen-
Seite 21
standes aus einem Hause, das unbefugte Bebauen öffentlicher Wege und Plätze; doch
gehört hierher auch die Verletzung von Gräbern u. s. w. Und in gewissem Sinne kann
man auch die strenge civilrechtliche Schadenersatzpflicht, z. B. die Beschädigung frem-
der Sclaven nach der Lex Aquilia, überhaupt das au Privatstrafen so reiche Civilrecht
als eine Ergänzung des Strafrechts betrachten.
65In Ansehung der Fähigkeit, sich durch Andere vor Gericht vertreten zu lassen oder Andere vor Gericht
zu vertreten. In einzelnen Fällen trat auch Unfähigkeit zum Zeugniss ein. L. 21 pr. D. de testibus 22,
5.
66L. 6 §. 7. D. de his qui notantur infamia 3, 2. Contrario judicio damnatus non erit infamis: nee
immerito, nam in contrariis non de perfidia agitus, sed de calculo qui fere judicio solet dirimi.
67Insofern man einen Stellvertreter bestellte, entging man allerdings der Infamie. L. 6 §. 2 D. 3, 2.
Daher werden im späteren Rechte die betreffenden Fälle unpractisch. Vgl. v. Savigny, System des
röm. Rechts, II. S. 175.
68Insofern man einen Stellvertreter bestellte, entging man allerdings der Infamie. L. 6 §. 2 D. 3, 2.
Daher werden im späteren Rechte die betreffenden Fälle unpractisch. Vgl. v. Savigny, System des
röm. Rechts, II. S. 175.
69Die Entstehungszeit der Actiones populares ist noch nicht genauer festgestellt.
70Ueber die einzelnen Fälle vgl. Walter, II. §. 802. Rudorff, II. §. 46.
71Vgl. z. B. auch über Beschädigung durch wilde Thiere, die in der Nähe eines öffentlichen Weges gehalten
werden, L. 40—42 D. de aedil. edicto 21, 1.
30
§. 9. Die Strafgesetzgebung der Republik hat im Uebrigen—die letzte Zeit ausge-
nommen — für uns wenig Interesse. Privatverbrechen wurden in der aristokratischen
Republik — quum et res et cupiditates minores, wie Cicero Fragm. pro Tullio §. 9
sagt — von gewaltfreien Personen selten begangen.72 So kommen denn wesentlich nur
Strafbestimmungen vor gegen Verletzungen der Rechte der Plebs, gegen Verletzung des
Pro-vocationsrechtes,73 gegen Verhinderung der Wahl von Volkstribunen,74 gegen die
Verhängung körperlicher Züchtigung über römische Bürger75 seitens der Magistrate, al-
so Gesetze zum Schutze des öffentlichen und politischen Rechts; ferner Luxusgesetze
(Leges sumtuariae)76 als Fortsetzung der einschlagenden Bestimmungen der XII Tafeln.
Die Reihe der für die spätere Zeit und für uns noch wichtigeren Strafgesetze beginnt
mit dem Strafgesetze gegen Excesse77 der Magistrate in den Provinzen. Die Lex Calpur-
nia (605 a. u.) repetundarum setzt eine Untersuchungs- und Aburtheilungs-Commission
für darauf bezügliche Anklagen ein und wird das Vorbild einer ganzen Reihe solcher Le-
ges, die seit Sulla sich auch auf andere als politische Verbrechen zu beziehen anfangen.
Die unmittelbar praktische Bedeutung der meisten
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